Deutsches Staatsrecht. 151
8 11) Vorbehalt der landesrechtlichen Bestimmungen, welche bei Prozessen gegen Beamte die
Feststellung, ob der Be= bezw. Angeklagte sich einer Uberschreitung der Amtsbefugnisse schuldig
gemacht habe, dem Prozeßgericht entziehen und dem obersten Verwaltungsgerichtshof (oder dem
Reichsgericht) übertragen. Endlich: d0) disziplinarische Bestrafung, wenn die
Pflichtverletzung außer und abgesehen von ihrer zivil= und strafrechtlichen Bewertung als „Dienst-
vergehen“ erscheint. Ein Dienstvergehen ist eine Handlung, welche durch die Beamtengesetze
mit Disziplinarstrafe („Ordnungsstrafen“: Warnung, Verweis, Geldbuße, bei Unterbeamten
auch wohl Arrest — und „Entfernung aus dem Amte“: Strafversetzung, Dienstentlassung) bedroht
ist. Und zwar ist, nach dem positiven Stande der deutschen Gesetzgebung im Reich und Land
jede Pflichtverletzung allemal auch ein Dienstvergehen; die Gesetze — vgl. § 72 RGB. und die
vorbildlichen Bestimmungen des preußischen Rechts: G. betr. die Dienstvergehen der Richter
vom 7. Mai 1851, § 1, Ges. betr. die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 21. Juli
1852, § 1 — enthalten nicht Aufzählungen einzelner, fest umschriebener Tatbestände, sonderm
die ganz allgemeine Vorschrift: „ein Beamter, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt,
begeht ein Dienstvergehen und hat die Disziplinarbestrafung verwirkt.“
Die verschiedenen Rechtsfolgen der Pflichtverletzung können einzeln und zusammen ein-
treten; der Grundsatz ne bis in idem läßt sich gegen die Kumulierung nicht geltend machen. Doch
ist beim Zusammentreffen strafrechtlicher und disziplinarischer Verfolgung eines und desselben
Vorgangs das Disziplinarverfahren nur mit gewissen Einschränkungen zulässig: vgl. §#§# 77, 78
RBeamten-Ges. und die zit. preußischen Gesetze, insbesondere das Gesetz vom 21. Juli 1852,
# 4, 5.
II. Rechte der Beamten. Der Beamte hat gegen den Staat ein subjektives öffentliches
Recht: 1 auf die Geltungals Beamter, den Status des Beamten; Einzelansprüche,
welche hieraus entspringen, sind: das Recht aus Titel, Rang und äußere Abzeichen (Uniform),
auf den erhöhten strafrechtlichen Schutz, welchen das Gesetz (§§ 113, 114 StrGB.) den Beamten
gewährt, auf die gesetzlichen Steuerprivilegien; 2 auf das Diensteinkommen, sei
es, daß dieses als Ganzes oder in seinen einzelnen Bestandteilen — Gehalt, Remuneration, Pen-
sion, Wartegeld, Wohnungsgeldzuschuß, Umzugs- und Reisekosten, Repräsentationsgelder usw.
— auf Gesetz oder auf besonderen Zusicherungen beruht. Alle diesen pekuniären Gegenleistungen
des Staates für die ihm geleisteten Dienste sind Objekt öffentlichrechtlicher, nicht
privatrechtlicher Ansprüche; daß letztere — vgl. §§ 149 ff. RBeamten-Ges. und die gleichartigen
Bestimmungen der Landesgesetze — im Streitfalle der Kognition der ordentlichen Gerichte
unterstellt sind, ändert hieran nichts. — Kein Anrecht hat der Beamte auf das von ihm be-
kleidete Amt, noch überhaupt auf ein Amt oder auf irgendwelche dienstliche Verwendung oder
Beförderung. Dies gilt für alle Beamten, auch für die Richter, deren „Unabsetzbarkeit“ und
„Unversetzbarkeit“ (§ 8 GVG.) nicht im Individualinteresse der Personen, sondern im Interesse
der Sache, d. h. der Unabhängigkeit der Justiz, statuiert, nicht als Gegenstand subjektiver Rechte,
sonderm als Inhalt objektiver Normen aufzufassen sind.
Viertes Kapitel.
Die Funktionen der Staatsgewalt.
1. Die Gesetzgebung.
§ 39. Gesetz und gesetzgebende Gewalt 1.
Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen dieser Begriffe lautet verschieden, je nachdem
man die Betrachtung auf den Inhalt oder die Form, auf das materielle oder formelle Moment
richtet.
I. „Gesetz“ im materiellen Sinne ist gleichbedeutend mit „Rechtssatz“, Norm
des objektiven Rechts und gesetzgebende Gewalt, in diesem Sinne daher rechtssetzende
1 Literatur: Laband 2 1 fr G. Meyer, Der Begriff des Gesetzes, in Grün-
huts Ztschr. f. Privat= u. öffentl. R. 8 1 ff.; Meyer- Anschüt, Staatsr. # 155ff.;