Deutsches Staatsrecht. 159
Lediglich eine besondere Kategorie der formellen Reichsgesetze sind die mehrfach erwähnten
Landesgesetze für Elsaß-Lothringen (oben 117). Sie wurden nach dem Gesetz
vom 2. Mai 1877 (oben 117) vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, wenn der Lan-
desausschuß ihnen zugestimmt hat. „Erlassen“ bedeutet soviel wie „sanktionieren". Dem Kaiser
steht also, abweichend von seiner Stellung im Prozeß der gemeingültigen Reichsgesetzgebung,
hier das Sanktionsrecht zu. Hieran ist auch, nachdem das G. über die Verfassung Elsaß-
Lothringens vom 31. Mai 1911 (oben 117) den Bundesrat ausgeschaltet und den Landesausschuß
durch den Landtag ersetzt hat, nichts geändert. Innerhalb des Bereichs der elsaß-lothringischen
Landesgesetzgebung steht das Initiativrecht dem Kaiser sowie jeder der beiden Kammern des
Landtags zu. Die Feststellung des Gesetzesinhalts erfolgt durch Vereinbarung zwischen Kaiser und
Landtag, die Sanktion, Ausfertigung und Publikation (Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen) durch
den Kaiser (VerfG. vom 31. Mai 1911 Art. II, § 5.).
8§ 41. Reichs= und Landesgesetzgebung 1.
Das Recht zur Gesetzgebung ist dem Reiche durch Art. 2 seiner Verfassung eingeräumt
„innerhalb des Bundesgebietes“, „nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung“ und „mit der
Wirkung, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen“.
„Innerhalb des Bundes-(. h. Reichs)gebietes,“ bedeutet, daß die Gesetzgebungshoheit des
Reiches sich über sein ganzes Gebiet erstreckt, — womit aber nicht gesagt ist, daß Reichsgesetze
immer nur für das ganze Reichsgebiet und nicht auch für einzelne Teile desselben erlassen werden
dürfen. Die Reichsgesetze gelten territorial (quod est in territorio, est de territorio) und erfassen
mit ihrer verbindlichen Kraft jeden, den sie angehen: nicht nur die Einzelstaaten als solche, sondern
in unmittelbarer Wirksamkeit (s. oben S. 67) auch die Untertanen.
„Nach Maßgabe des Inhalts der Verfassung“. Hiermit ist die gesetzgebende Gewalt des
Reichs gegenständlich beschränkt auf den Gesamtumfang der Reichskompetenz (s. oben
§& 511), wie er sich aus dem Inhalt der Verfassung ergibt. „Inhalt"“ in diesem Sinne sind nicht
nur die besonderen und ausdrücklichen Kompetenzzuweisungen der RV., insbesondere Art. 4 das.,
sondern auch die allgemeinen, wiewohl in der RV. nicht ausgesprochenen Grundsätze über Wesen
und Inhalt der Reichsgewalt. Daß beispielsweise das Reich kompetent ist, sein Behördensystem,
seinen Beamtendienst gesetzgeberisch zu ordnen, bedarf nicht der Begründung durch eine aus-
drückliche Verfassungsklausel, sondern folgt aus dem Charakter der Reichsgewalt, aus der Staat-
lichkeit des Reichs.
Damit, daß dem Reiche in Ansehung einer bestimmten Materie („Angelegenheit") im Sinne
des Art. 4 RV.) das Recht zur Gesetzgebung zusteht, ist ohne weiteres noch nicht gesagt, daß ihm
dieses Recht ausschließlich zusteht. „Ausschließlich“ ist und heißt eine Gesetzgebungskom-
petenz des Reichs dann und insoweit, als schon durch das Inkrafttreten dieser Kompetenz, also
vom Geltungsbeginn der Reichsverfassung an, die gleichinhaltliche Kompetenz der Einzelstaaten
aufgehoben ist. Die Ausschließlichkeit ist demnach eine Eigenschaft nicht nur der Reichsgesetzgebung,
d. h. der einzelnen Reichsgesetze, sondern des Rechts des Reichs zur Gesetzgebung. Ausschließlichkeit
bedeutet Unzuständigkeit der Landesgesetzgebung. Solche Ausschließlichkeit bedarf besonderer
Begründung. Die Begründung kann gegeben sein entweder durch die Natur der Sache oder
durch ausdrückliche Bestimmungen der Reichsverfassung.
1. Der Natur der Sache nach fallen in den ausschließlichen Vorbehalt der Reichsgesetz-
gebung alle Materien, welche, den Machtbereich des Einzelstaates überragend, einen für jedes
Landesgesetz unmöglichen Inhalt aufweisen. Hierher gehört das gesamte Verfassungsrecht des
Reichs im weitesten (alle Normen über die Organisation des Reichs umfassenden) Sinne, hierher
die Ordnung des Reichsdienstes, des Reichshaushalts, der Reichsanstalten (daher ausschließliches
Gesetzgebungsrecht des Reichs in Sachen der Kriegsmarine, RV. Art. 53, sowie der Reichspost
und "elegraphie, Art. 48), des Reichslandes, der Schutzgebiete.
1i Laband 2
Komm. z. RV. S. 40 ff.; 3 orn, Staatsr. 1 41 ff.; Ansch ro tz in Fleischmann-S
buch Art. „Gesetz“, S. m1
#s.59; G. Meyer §s 167; Haenel, Staater. 4238ff.tv. Se Wdre
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