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teilen (Art. 63 Abs. 4) und Zubehörstücken (Art. 64 Abs. 2, 3; 65, 68) sowie dem Inspek-
tionsrecht (Art. 63 Abs. 3).
Die Einheit der Kommandogewalt oder militärischen Befehlsgewalt im deutschen Heere
wird dadurch hergestellt und verbürgt, daß der Kaiser zum Träger dieser Gewalt erklärt ist.
Die deutschen Truppen stehen „unter dem Befehle des Kaisers“ (Art. 63 Abs. 1),
einer Befehlsgewalt, welche in Friedens= wie Kriegszeiten wirksam und überall unmittel-
bar wirksam ist, d. h. nicht als bloßer „Ober'“-Befehl in partikularistischem Sinne so aufgefaßt
werden darf, als richtete sich das kaiserliche Kommando nur an die Adresse der Kontingents-
herren, die es dann unter iyrer Autorität weiterzugeben hätten. Der Befehl des Kaisers
erfaßt nicht die Kontingentsherren, sondern ohne diese und über sie hinweg „alle deutschen
Truppen #“ als solche, er greift unmittelbar durch bis auf den einzelnen, dem obersten Kriegs-
herrn kraft Verfassung und Fahneneid (Art. 64 Abs. 1) zu unbedingtem militärischem Gehorsam
verpflichteten Mann.
Hiermit ist ein ungeheuer wichtiges, rein militärisch betrachtet das wesentlichste Stück
der Kriegshoheit von den Einzelstaaten auf das Reich übertragen. Die Kommandogewalt ist
Reichs gewalt in allen ihren Außerungen und Betätigungen. Denn daraus, daß der Kaiser
zum Höchstkommandierenden der gesamten deutschen Landmacht erklärt ist, folgt
nach der streng hierarchischen Gestaltung der militärischen Kommandogewalt nicht nur, daß
jeder andere Truppenbefehlshaber in Deutschland dem Kaiser militärisch untergeben, sondern
mehr: daß jedes militärische Befehlsrecht vorgestellt werden muß als abgeleitet aus dem Recht
des Kaisers. Die Kommandogewalt ist eine in sich einheitliche, durchweg reichseigene Gewalt;
jedes Kommando über deutsche Truppen ergeht materiell im Namen des Reichs. Die Kom-
mandogewalt ist in der partikularen Kontingentsherrlichkeit als solcher nicht mehr enthalten
(ogl. auch § 5 Abs. 2 RMilGes. vom 2. Mai 1874). — Ausgenommen von diesen Sätzen ist nur
der Einzelstaat Bayern. Aber auch er nur zu Friedenszeiten. Der Vertrag vom 23. Nov.
1870 (III § 5 zu III) beläßt dem König von Bayern die Kriegsherrlichkeit im Frieden. Im
Kriege, und zwar mit Beginn der nur auf Veranlassung des Kaisers durch den König von Bayern
anzuordnenden Kriegsbereitschaft (Mobilisierung) tritt die kaiserliche Kommandogewalt und
der gesamte oben bezeichnete Rechtszustand auch hier in Kraft.
Als einzelne, besonders wichtige Bestandteile der Kommandogewalt führt die RV. Art. 63
Abs. 4 (beispielsweise, nicht in der Absicht einer erschöpfenden Aufzählung !) an: die Be-
stimmung des Präsenzstandes der Kontingente t(innerhalb und nach Maß-
gabe der durch die Legislative festzusetzenden Friedenspräsenzstärke des gesamten Heeres;
s. unten zu III, 2, das Bestimmungsrecht über die Gliederung und Einteilung jedes
Kontingentes (soweit die Kadres der Friedensformation nicht gesetzlich, RMil Ges. vom 2. Mai
1874 §FP 2 ff. festgelegt sind und daher für das kaiserliche Bestimmungsrecht noch Raum bleibt),
über die Organisation der Landwehr (und des Landsturms, § 6 Niles.), über
die Garnisonen (grundsätzlich freies Dislokationsrecht innerhalb des ganzen Reichsgebietes,
nur beschränkt durch die Sonderrechte und Militärkonventionen!), endlich das Recht, die
kriegsbereite Aufstellung eines jeden Kontingents anzuordnen (Mobil-
machungsrecht; bayrisches Sonderrecht s. oben), sowie die Kriegsformation
des Heeres im ganzen wie im einzelnen zu bestimmen (§6 MilGes.). Mehr als Zubehör-
stücke wie als Bestandteile der Kommandogewalt erscheinen folgende Militärhoheitsrechte des
Kaisers: das Offizierernennungsrecht, soweit es die RV. und die Reichsgesetze
dem Kaiser ausdrücklich beilegen (RV. Art. 64 Abs. 2: Ernennung des Hoöchstkomman-
dierenden jedes Kontingents, der Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents be-
fehligen, aller Festungskommandanten, sowie — §§ 74, 79, 80, 107 MilStrGO. vom 1. Dez.
1898 — der Mitglieder des Reichsmilitärgerichts und der Militäranwaltschaft; zustimmungs-
recht bei Ernennung von Generälen durch die Kontingentsherren), das Recht, Festungen
anzulegen (RV. Art. 65) und das — abgesehen von Bayern ausschließliche — Recht,
jeden Teil des Reichsgebietes in Kriegszustand zu erklären (RV. Art. 68).
Den Charakter eines selbständigen, in der praktischen Handhabung aber mit der Kom-
mandogewalt untrennbar zusammenfließenden kriegsherrlichen Amts des Kaisers hat das
Inspektionsrecht: RV. Art. 63 Abs. 3. Es ist nichts anderes als das Beaufsich-