Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

182 G. Anschütz. 
Was bleibt nun, wenn man von dem Inbegriff aller denkbaren Militärhoheitsrechte die im 
vorstehenden zusammengestellte und beschriebene Reichszuständigkeit in Abzug bringt, als Kom- 
petenzrest zugunsten der Einzelstaaten, als „Kontingentsherrlichkeit“" übrig? Im praktischen 
Effekt, und von den Reservatrechten Bayerns (die Privilegierung Württembergs nach der Mil.= 
Konv. vom 25. November 1870 ist im Vergleich mit der bayerischen kaum nennenswert) abgesehen, 
doch nicht viel mehr als ein nudum ius. Ein Recht ohne militärisch greifbaren Inhalt, freilich immer- 
hin ein Recht, und ein verfassungsmäßiges Recht. Noch immer ist die deutsche Heeresverwaltung 
grundsätzlich nich t eigene und unmittelbare Reichs-, sondern Landes verwaltung. Der Heeres- 
dienst gilt, was auch in den Formeln der Fahneneide unzweideutig hewortritt, als Landesdienst, 
nicht als ein dem Reiche geleisteter Dienst. Und ausdrücklich behält die RV. Art. 63 Abs. 2 und 66, 
den deutschen Landesherren und Senaten das Recht vor, innerhalb der reichsgesetzlichen Schranken 
die Kokarden und sonstigen äußeren Abzeichen „ihrer“ Soldaten zu bestimmen sowie die Offizier- 
(und Militärbeamten-) Stellen „ihrer" Kontingente zu besetzen, soweit das Offizierernennungsrecht 
nicht ausdrücklich dem Kaiser (s. oben S. 180) übertragen ist. Alles dieses ist lediglich zuzugestehen 
und sollte nicht (wie Brockhaus, Haenel u. a. es tun) verwischt noch vertuscht werden. 
Die Einheit des deutschen Heeres, von welcher Art. 63 Abs. 1 RV. spricht (s. oben S. 176, 170 ist eine 
Einheit im Rechtssinne offensichtlich nicht, wohl aber freilich — und dem tun die Militär- 
hoheitsrechte der Einzelstaaten keinen Abbruch — eine Einheit in der Sache, auf die allein es 
ankommt: eine militärisch-technische Einheit. Wohl sind die Partikulargewalten 
Träger der Heeresverwaltung, aber sie müssen verwalten nach den Gesetzen, Verordnungen und 
Etats des Reichs, mit Reichsmitteln und Reichsgut, unter strengster Aufsicht und Kontrolle des 
Reichs. Der Heeresdienst ist formell ein dem Landesherrn geleisteter, aber ein Dienst, welchen 
das Reich auferlegt, regelt, begrenzt, befehligt, beaufsichtigt, bezahlt, ein Dienst, der letzten 
Endes doch nur des Reichs wegen da ist, denn Krieg führen kann nus mehr das 
Reich. — · 
Nach dem im vorstehenden geschilderten System der deutschen Heeresverfassung könnte und 
müßte es so viele Militärkontingente geben, als Einzelstaaten vorhanden sind, also 25. Diese Zahl 
ist jedoch durch Verträge — „Militärkon ventionen“ —, welche zwischen Preußen und 
den anderen deutschen Einzelstaaten mit Ausnahme Bayerns, Sachsens und Württembergs ab- 
geschlossen worden sind, herabgemindert auf vier. In diesen Militärkonventionen, deren In- 
halt im einzelnen hier unerörtert bleiben muß, haben die erwähnten Staaten auf die ihnen nach 
der RNV. noch zustehenden kontingentsherrlichen Rechte zugunsten Preußens verzichtet, wobei 
die badischen, hessischen und mecklenburgischen Truppen in ihrer kontingentsmäßigen Gliederung 
und Geschlossenheit aufrechterhalten, die anderen in die preußische Armee inkorporiert worden 
sind, so daß der Verband der preußischen Armee, das „unter preußischer Verwaltung stehende 
Reichsmilitärkontingent“ (RG. vom 26. Mai 1893 mit Art. 2 F 1), die ehemaligen Kontingente 
der Großherzogtümer, Herzogtümer, Fürstentümer und Freien Städte in sich ausgenommen 
hat und, nachdem ihm auch die in Elsaß-Lothringen dislozierten Truppen einverleibt worden 
sind, nunmehr ganz Deutschland außer Bayern, Württemberg und Sachsen umfaßt. Hierdurch 
ist der Zustand, welcher herrschen würde, wenn das deutsche Heer in demselben Sinne eine „Ein- 
heit“ wäre wie die Marinec, ist die Vereinigung der Kommandogewalt und der Militärerwaltung 
in der einen Person des Kaisers und Königs für den größten Teil des deutschen Heeres tatsächlich 
zur Wahrheit geworden. Das zweite, bayerische Kontingent des deutschen Heeres steht, wie 
oft erwähnt, unter einem von dem gemeinen Recht der RV. weit abweichenden Sonderrecht, 
ist insbesondere von der kaiserlichen Kommandogewalt zu Friedenszeiten eximiert. So bleiben 
denn als normale deutsche Kontingente im Sinne der RV. nur Sachsen und Württemberg 
übrig: nur in diesen beiden Staaten kommt das Normalrecht der RV. mit seiner Teilung der 
Militärhoheit zwischen Kaiser und Kontingentsherr tatsächlich zur Geltung; indessen selbst hier 
nicht ohne jede Einschränkung und Modifikation: sächs. Mil.-Konv. vom 7. Februar 1867, württ. 
Mil.-Konv. vom 25. November 1870 (letztere, nicht auch die erstere durch die RV. als Sonderrecht 
im Sinne von Art. 78 Abs. 2 RV. anerkannt).
	        
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