186 G. Anschütz.
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eichnet man die vollständige systematisch, geordnete und bilanzierte Übersicht der für eine
bevorstehende Staatswirtschaftsperiode zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben. Also
kurz gesagt: den periodisch aufzustellenden Voranschlag über Bedarf und Deckung. Der
wirtschaftliche, finanzpolitische Zweck der Einrichtung ist für den Staats haushalt kein
anderer wie bei jeder anderen öffentlichen oder Privatwirtschaft (die Aufstellung eines
Etats und das Wirtschaften nach ihm ist nichts dem Staat shaushalt allein Eigentümliches,
sie kommt vielmehr auch bei anderen öffentlichen Wirtschaften und bei manchen großen
Privatwirtschaften vor): es soll Planlosigkeit vermieden, ein Uberblick über Ausgaben und
Einnahmen, über Bedarf und Deckung, soweit vorhersehbar, ermöglicht und im voraus für
das Gleichgewicht zwischen beiden gesorgt werden. Das Budget ist ein Monolog der wirt-
schaftlichen Staatspersönlichkeit, verbunden mit dem Vortatz, sich nach-idiesem Anschlag als
nach der Norm für die Wirtschaftsführung in der betreffenden Periode zu richten.
Das Staatsrechtgeht der Etat vor allem um des Anteils willen an, welcher der Volks-
vertretung bei seiner Aufstellung und Feststellung eingeräumt ist. Nach dem reinen, abstrakten
Prinzip der Gewaltenteilung wäre ja, darauf muß hingewiesen werden, eine Mitwirkung der
Volksvertretung auf diesem Gebiet des staatlichen Finanzwesens an sich nicht erforderlich. Denn
an sich und von Natur aus ist das Budget nicht ein Akt der Gesetzgebung, sondern
ein Verwaltungsakt; ein allgemeines Recht der Volksvertretung, an der Aus-
übung der vollziehenden Gewalt teilzunehmen, ist aber nicht anerkannt. Das „Budgetrecht
der Volksvertretung“, der Inbegriff des parlamentarischen Einflusses auf Gestalt und
Inhalt des Budgets, bedarf also nach Art und Umfang jedenfalls der positivrechtlichen Begründung.
Eine solche fehlt nun aber in keiner konstitutionellen Verfassung, jedenfalls in keiner deutschen.
Nach den Verfassungen des Reichs wie der Einzelstaaten erfolgt die Feststellung des Budgets
nicht einseitig durch die Regierung, sondern durch einen Gesamtakt von Regierung und Volks-
vertretung, dessen verfassungsmäßiges Zustandekommen die Regierung als Geschäftsführerin
des Staatshaushals an die Befolgung des Budgets bindet, mit der Wirkung, daß die Regierung
für den Fall der Befolgung im voraus von Verantwortlichkeit befreit ist, für Abweichungen von
der Richtschnur aber der Volksvertretung Erklärung und Rechtfertigung schuldet.
Die Gestaltung des Budgetrechts nach den deutschen Verfassungen zeigt zwei Typen,
deren grundsätzliche Verschiedenheit, obwohl als solche nicht unbestritten Meyer-Anschütz
Staatsr. § 205, Rehm in Hirths Anm. 1901, S. 641 ff.), von der überwiegend herrschenden
Meinung zugestanden wird und auch angesichts der Tatsache, daß durch die praktische Hand-
habung der Verfassungsbestimmungen in neuerer Zeit hier und da Verwischungen der staats-
rechtlichen Unterschiede und damit eine Anähnlichung der beiden Typen bewirkt worden ist,
anerkannt werden muß.
Die typische Verschiedenheit ist die, daß die Verfassungen der einen Gruppe die Feststellung
des Budgets „durch ein Gesetz“ fordern und damit die periodische (nach diesem Typus meist
alljährliche) Veranschlagung von Bedarf und Deckung und die Einstellung jeder Ausgabe-
und Einnahmeposition in das Budget an die formell-legislative Zustimmung der Volksvertretung
knüpfen, während die Verfassungstexte des anderen Typus von der obligatorischen Gesetzesform
des Budgets nichts wissen, der Volksvertretung ein Zustimmungs--(Bewilligungs-Recht
nur hinsichtlich der Steuern und hauptsächlichsten außerordentlichen Einnahmen, bezüglich
des Budgets, insbesondere des Ausgabenbudgets aber nur das Recht der „Prüfung“ beilegen.
Nach diesem letzteren Budgetrechtstypus erscheint das Budget als eine verfassungsmäßig not-
wendige Beilage zu dem der ständischen Zustimmung zu unterbreitenden Entwurf des Steuer-
oder Auflagengesetzes: eine Regierungsvorlage, welche Bedarf und außersteuerliche Deckungs-
mittel vollständig klarlegt und dem Parlament zur Prüfung übergeben wird, mit dem An-
sinnen, den durch anderweitige Staatseinnahmen nicht gedeckten Ausgabenbedarf durch „Be-
willigung“ (d. h. Zustimmung zur Erhebung) von Steuern zu decken.
Der erstgenannte Typus wird vertreten durch die Verfassungen des Reichs und Preußens,
der andere durch diejenigen sämtlicher Mittelstaaten, insbesondere Bayerns, Sachsens, Württem-
bergs, auch Badens, — wobei wiederholt zugestanden wird, daß die Praxis in manchen dieser
letzteren Staaten, namentlich in Württemberg und Baden, durch eine gewohnheitsmäßige