Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

196 Paul Schoen. 
ordnungen der Regierung oder von Einbringung und Vertretung eines Gesetzesvorschlages 
durch die Regierung bei dem Landtage spricht. 
II. Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung. Ist die staatliche Tätigkeit, die 
wir als Verwaltung ansprechen, nur ein Teil der gesamten Staatstätigkeit, und werden ihr als 
weitere Teile dieser die Gesetzgebung und die Justiz gegenübergestellt, so muß behufs näherer 
Erfassung des Begriffes der Verwaltung zunächst festgestellt werden, welchen Sinn man bei 
dieser Dreiteilung der gesamten Staatstätigkeit mit den Worten Gesetzgebung und Justiz ver- 
bindet. Für die Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, daß die Dreiteilung nicht das 
Resultat theoretischer Spekulation ist, die darauf ausging, die verschiedenen Staatstätigkeiten 
nach sachlichen Gesichtspunkten in Gruppen cinzuteilen, in die sie restlos untergebracht werden 
können, sondern das Ergebnis historischer Vorgänge, die, lange auseinanderliegend, in keinem 
inneren Zusammenhange stehen, der Absonderung einzelner Staatstätigkeiten aus der Gesamt- 
heit derselben. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gestaltete sich die rechtspflegende 
Tätigkeit der Gerichte, Justiz genannt, zu einer eigenartigen Staatstätigkeit aus; ihre Aus- 
übung wurde durch besondere Normen bestimmt und geregelt, sie wurde das Objekt besonderer 
Zweige der Rechtswissenschaft, die Justizsachen traten in einen Gegensatz zu den sogenannten 
Regierungssachen, wie damals zusammenfassend die Objekte aller übrigen staatlichen Tätig- 
keiten bezeichnet wurden. Als dann später die Staaten zur konstitutionellen Verfassung über- 
gingen, wurde auch die Gesetzgebung zu einer besonders gearteten Staatstätigkeit dadurch, 
daß sie fermerhin nur ausgeübt werden konnte unter Mitwirkung der Volksvertretung. Und 
für die Gesamtheit der Staatstätigkeiten, die übrigblieben nach der Absonderung der Justiz 
und der Gesetzgebung kam der Name Verwaltung auf. Aus dieser Entwicklung der Dreiteilung 
aller Staatstätigkeit erhellt, daß bei ihr die Ausdrücke Gesetzgebung und Justiz nur in dem 
Sinne verstanden werden können, der mit ihnen zur Zeit der Absonderung der betreffenden 
Staatstätigkeiten verbunden wurde. Unter Gesetzgebung aber verstand man bei Erlaß der 
modernen Verfassungsurkunden die Aufstellung von Rechtssätzen durch das Staatsoberhaupt; 
diese sollte nach den neuen Verfassungsurkunden fernerhin nur unter Mitwirkung der Volks- 
vertretung stattfinden können. Die Gesetzgebung in diesem Sinne, d. h. die Aufstellung von 
Rechtssätzen durch den Träger der Staatsgewalt unter Zustimmung der Volksvertretung wurde 
als eine besondere Art Staatstätigkeit angesehen und den übrigen staatlichen Tätigkeiten gegen- 
übergestellt. Dem Ausdrucke Gesetzgebung in unserer Dreiteilung liegt also der alte, materielle 
Gesetzesbegriff über ihn Näheres im staatsrechtlichen Teile dieser Enzyklopädie, oben S. 151 ds. Bds.) 
zugrunde, nur daß nicht die Aufstellung jedes Rechtssatzes unter ihn fällt, sondern nur die, welche 
ausgeht von den spezifisch zur Gebung von Gesetzen berufenen Faktoren. Die Anordnung eines 
Rechtssatzes durch den Landesherrn allein, ohne Mitwirkung der Volksvertretung, oder durch eine 
Behörde ist also nicht Gesetzgebung in dem hier in Betracht kommenden Sinne. Dagegen ist der 
formelle Gesetzesbegriff (auch über ihn Näheres a. a. O.) für das Verständnis unserer Dreiteilung 
nicht zu verwerten, indem ihn erst die spätere konstitutionelle Doktrin erfunden und dem materiellen 
zur Seite gestellt hat. Erklärungen der gesetzgebenden Körperschaften, die in der Form von 
Gesetzen ergehen, aber keine Rechtssätze enthalten (Gesetze in formellem, aber nicht auch im 
materiellen Sinne), wie die Anordnung der Errichtung eines öffentlichen Untemehmens 
(Eisenbahn, Kanal u. a.), der Aufnahme einer Anleihe, der Veräußerung von Staatsgrund- 
stücken u. dgl., sind daher nicht Gesetzgebung in dem hier in Betracht kommenden Sinne. 
Justiz in dem alten, historisch gegebenen Sinne bedeutet die rechtspflegende Tätigkeit 
der Zivil- und Strafgerichte. Der Begriff charakterisiert sich wie der der Gesetzgebung in 
unserem Zusammenhange durch ein subjektives und ein objektives Moment: Nur Tätigkeit der 
Zivil= und Strafgerichte ist Justiz; indem diese zur Zeit der Heraushebung der Rechtspflege 
aus den übrigen Staatstätigkeiten die einzigen spezifisch zur Rechtspflege berufenen Staats- 
organe waren, war nur ihre Tätigkeit Gegenstand jener besonderen Ordnung und Ausgestaltung, 
die vor allem auf unabhängige, gegen Eingriffe und Beeinflussungen des Machthabers sicher- 
gestellte Rechtspflege abzielte, nur sie trat in einen Gegensatz zu den anderen Staatstätigkeiten. 
Nur die Tätigkeit der Zivil- und Strafgerichte, welche es mit der Rechtspflege zu tun hat, ist 
Justiz, denn nur diese wurde in Absonderung von den übrigen Staatstätigkeiten ausgestaltet; 
andere Tätigkeit, die die Gerichte etwa noch entwickeln, ist nicht Justiz. Zur Rechtspflege
	        
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