Deutsches Berwaltungsrecht. 199
eigentümlich ist, als die „handelnde Staatsgewalt“ charakterisieren (vgl. oben S. 169 des vor-
liegenden Bandes dieser Enzyklopädie), der dann Gesetzgebung und Justiz unter dem Gesichts-
punkte gegenübertreten, daß sie sich, und zwar die Gesetzgebung völlig, die Justiz wenigstens
in ihrer Hauptfunktion, der Rechtsprechung, ausleben in der Abgabe staatlicher Willensäußerungen.
Was jedoch den Zweck verlangt, den die Justiz mit Anwendung des Gesetzes verfolgt, so ist es
lediglich der, das Recht zu verwirklichen; daher wendet sie das Gesetz auf den streitigen Einzel-
fall an ohne Rücksicht auf die Folgen, die diese Gesetzesanwendung für den Staat und die
betroffenen Privatpersonen zeitigt; die Verwaltung dagegen verfolgt bei jeder Gesetzes-
anwendung, ebenso wie wenn sie Entfaltung freier Tätigkeit ist, das Ziel, etwas für das Gemein-
wohl Zweckmäßiges und Nützliches zu schaffen, sie ist nie „bloße“ Vollziehung, „blinde“ An-
wendung des Gesetzes auf den einzelnen Fall.
3. Damit ist das Wesen der Verwaltungstätigkeit im allgemeinen charakterisiert. Allein
diese Charakteristik ist lediglich von den spezifischen Eigenschaften der Verwaltung abgezogen,
daher paßt sie nicht auf alle Staatstätigkeit, die wir zur Verwaltung rechnen, sie paßt z. B.
in weitem Umfange nicht auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die ihrem Wesen nach durchaus
der Justiz gleichartig ist, und ebenso nicht auf die Verordnungsbefugnis der Verwaltungs-
behörden. Andererseits ist sie aber auch nicht auf Momente abgestellt, die bei einer der beiden
anderen Staatstätigkeiten schlechthin nicht zu finden sind: auch die Justiz wird nebenher handelnd
tätig, wenn sie das Urteil vollstreckt; auch sie wendet im Gebiete der freiwilligen Gerichtsbar-
keit Gesetze an zur Herbeiführung eines bestimmten materiellen Erfolges; und wo der moderne
Richter nach freiem Ermessen zu entscheiden hat, entwickelt auch er eine freie Tätigkeit, ebenso
wie der Verwaltungsbeamte. Alle Staatstätigkeiten sind eben aus den Bedürfnissen des
praktischen Staatslebens geboren und dauernd auf diese gerichtet. Daher sind ihre Grundformen
vielfach nicht logisch und einheitlich ausgestaltet, und alle Versuche, sie zu charakterisieren, müssen
sich damit begnügen, das Wesentliche und Normale einer jeden von ihnen zu erfassen.
IV. Die Gesamtheit der Geschäfte, die durch die Verwaltungstätigkeit zu erledigen sind,
wird für praktische wie wissenschaftliche Zwecke nach sachlichen Gesichtspunkten in Gruppen ein-
geteilt, die Verwaltungszweige genannt werden. Und zwar ist allgemein üblich die Ein-
teilung in fünf Verwaltungszweige, entsprechend den fünf Ministerien, die die größeren Staaten
beim Ubergange zur Ministerialverfassung erstmalig errichteten. Es wird unterschieden die Ver-
waltung der äußeren Angelegenheiten, des Krieges, der Justiz, der Finanzen und der inneren
Angelegenheiten. Welche Geschäfte jedem dieser Verwaltungszweige zugehören, ergibt sich für
die ersten vier von ihnen aus ihrem Namen. Zu der Verwaltung der inneren Angelegenheiten
aber gehören alle Verwaltungsgeschäfte, die in keinen der vier anderen Verwaltungszweige fallen.
Der Name Verwaltung der inneren Angelegenheiten oder Innere Verwaltung für diesen Rest-
bestand von Verwaltungsgeschäften ist lediglich historisch daraus zu erklären, daß zuerst nur
zwei Verwaltungszweige, der der äußeren und der der inneren Angelegenheiten, unterschieden
wurden und dann aus letzterem die weiteren, heute unterschiedenen Verwaltungszweige sich
abgelöst haben. Restlos lassen sich allerdings die Staatstätigkeiten, welche weder Justiz noch
Gesetzgebung sind, nicht auf diese fünf Verwaltungszweige verteilen, es bleibt außerhalb der-
selben die ganze Organisationstätigkeit des Staates und der öffentlichen Verbände stehen, die
sie erst fertigstellt für das Tätigwerden in Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung, indem sie die
Organe, durch sie die handeln, ins Leben ruft und ihnen laufend die erforderlichen persönlichen
Kräfte zuführt. Gewöhnlich hat man bislang nur die auf Herstellung und Erhaltung der obersten,
durch die Verfassung vorgesehenen Organe gerichteten Handlungen, wie Anberaumung der
Landtagswahlen, Ernennung von Herrenhausmitgliedern, Einberufung, Eröffnung, Schließung
des Landtages, Antritt der Regierung u. a., als eine besondere Staatstätigkeit beachtet (gegen
O. Mayer 1, 9, der diese Handlungen überhaupt nicht als Verwaltungstätigkeiten ansehen will,
mit Recht G. Jellinek, Staatsl. 597); allein diesen sogenannten „verfassungsrechtlichen Hilfs-
tätigkeiten“ steht die auf Beschaffung und Erhaltung der unteren und untersten Staats- und
Gemeindeorgane gerichtete Tätigkeit durchaus gleich. Die gesamte organisatorische Tätigkeit
des Staates und der öffentlichen Verbände muß als eine besondere Art Verwaltungstätigkeit
den vorgenannten fünf Gruppen zur Seite gestellt werden, wenn man sie in der Rubrizierung
der Verwaltungstätigkeit nicht unbeachtet lassen will.