Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

202 Paul Schoen. 
und Bezirksausschüssen und anderen Staatsbehörden, die aus besoldeten Berufsbeamten und 
Ehrenbeamten zusammengesetzt sind, Selbswerwaltungsämter zu nennen. In der Gesetzgebung 
dagegen ist das Wort Selbstverwaltung im Sinne von Verwaltung durch Ehrenämter nur ganz 
vereinzelt gebraucht (so in der pr. Kreis-O. f. d. östl. Prov. § 74 Ziff. 2. b und an der ent- 
sprechenden Stelle der anderen pr. Kreis-Ordugn., wo als zur Stelle eines Landrates als geeignet 
bezeichnet werden Personen, die in „Selbstverwaltungsämtem" des Kreises, des Bezirkes oder der 
Provinz tätig gewesen sind). Regulär verbindet die Gesetzessprache mit ihm notwendig einen 
anderen Sinn; denn daß die modernen Gemeindeordnungen sowie die preußischen Kreis= und 
Provinzialordnungen, welche die Gemeinden, Kreise und Provinzen als Korporationen be 
zeichnen, denen das Recht der „Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten“ zusteht, unter Selbst- 
verwaltung nicht Verwaltung mittelst Ehrenämtern verstehen können, liegt auf der Hand, 
indem alle genannten Kommunalverbände ihre Angelegenheiten nicht weniger durch besoldete 
Berufs- als durch Ehrenbeamte verwalten. 
b) Der andere Begriff der Selbstverwaltung hat spezifisch deutsche Verhältnisse zur 
Grundlage. Schon vor dem Bekanntwerden des englischen Regierungssystemes durch die 
Arbeiten Gneists hatten weite Kreise in Deutschland die Empfindung, daß die bloße Be- 
teiligung des Volkes an der konstitutionellen Gesetzgebung weder genüge, die Gesetzlichkeit 
der Verwaltung zu sichern, noch dem Volke den gebührenden Anteil am öffentlichen Leben ein- 
zuräumen. Zur umfänglicheren Beteiligung der Bevölkerung an der Verwaltung aber bot sich 
hier vor allem der Weg dar, den Gemeinden Geschäfte der Staatsverwaltung zur Besorgung zu 
überweisen, ein Weg, der in England bei dem völligen Zurückgebliebensein des Gemeindelebens 
gegenüber der früh verwirklichten Staatseinheit schlechterdings nicht hatte beschritten werden 
können. Es galt lediglich, die Gedanken in weiterem Umfange zu realisieren, die Stein in 
Preußen in der Städteordnung von 1808 (s. unten § 13) erstmalig verwirklicht hatte, den Städten 
weitere Verwaltungsbefugnisse beizulegen, die Landgemeinden und höheren Kommunalverbände 
zu Trägern öffentlicher Verwaltung zu erheben. Große Teile der bisher vom Staate selbst 
geübten Verwaltung wurden aus diesen Bestrebungen heraus den Gemeinden und höheren 
Kommunalverbänden und bald auch anderen vom Staate ah hoc ins Leben gerufenen Verbänden 
mit der Maßgabe übertragen, daß sie fernerhin die in diese fallenden Geschäfte im Rahmen 
der Gesetze selbständig besorgen sollten. Die Wahrnehmung dieser an sich staatlichen Geschäfte 
durch die Gemeinden und anderen Verbände wurde Selbstverwaltung genannt. So war der 
Begriff der Selbstverwaltung entstanden, den der moderne Gesetzgeber vor Augen hat, wenn 
er den Gemeinden und höheren Kommunalverbänden „das Recht der Selbstverwaltung ihrer 
Angelegenheiten“ beilegt. Er bedeutet: Besorgung staatlicher Verwaltungs- 
geschäfte durch dem Staate untergeordnete, aber innerhalb 
ihres Wirkungskreises selbständige Verbände. Er ist kein politischer, 
sondern ein rechtlicher Begriff, denn er sagt etwas aus über rechtliche Beziehungen, die zwischen 
verschiedenen Willensträgern, den gedachten Verbänden und dem Staate bestehen. 
Das erste Charakteristikum dieser Selbstverwaltung ist, daß sie öffentliche Verwaltung 
ist, die nicht vom Staate geführt wird, sondern von diesem als Träger selbständiger Rechte und 
Pflichten gegenüberstehenden Verbänden, die Selbstverwaltungskörper genannt 
werden. Die wichtigsten dieser sind die Gemeinden und höheren Kommunalverbände, die 
innerhalb ihres Gebietes berufen sind, alle zu diesem in besonderer Beziehung stehenden Ver- 
waltungsaufgaben zu lösen, die der Staat nicht sich selbst vorbehalten oder anderen Selbst- 
verwaltungskörpern überwiesen hat. Solche anderen Selbstverwaltungskörper hat aber die 
Landes= wie auch die Reichsgesetzgebung in großer Anzahl für die Verrichtung bestimmter Ver- 
waltungsaufgaben (daher öffentliche Zweckverbände genannt) ins Leben gerufen. Sie 
sind regelmäßig wie die Gemeinden korporativ organisiert, so die sogenannten Verwaltungs- 
gemeinden, wie z. B. die Schulverbände, die Orts- und Landarmenverbände, die Deich- 
verbände, desgleichen die Ortskrankenkassen und die Berufsgenossenschaften der Arbeitewer- 
sicherung, die Innungen u. a. Jedoch auch mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete öffentlich- 
rechtliche Anstalten kommen als Träger von Selbstverwaltung vor, wie die Versicherungs- 
anstalten für die Invaliden= und Hinterbliebenenversicherung und die öffentlichen Feuerver- 
sicherungsanstalten (nach dem pr. G. v. 25. 7. 1910), und auch lediglich als Gesellschaft
	        
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