Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 17 
Als Bundesstaaten bezeichnet man vorzugsweise das Deutsche Reich, die Schweiz, die 
Vereinigten Staaten von Nordamerika, sodann auch wohl die mittel- und südamerikanischen 
Föderativrepubliken neueren und neuesten Gründungsdatums: Mexiko, Venezuela, Brasilien, 
Argentinien. In der Ausgestaltung des bundesstaatlichen Gedankens weichen diese Gemein- 
wesen sehr voneinander ab, so daß es dem vergleichend prüfenden Betrachter nicht eben leicht 
wird, einen allgemeingültigen, auf alle die genannten Staatenverbindungen passenden Begriff 
des Bundesstaates zu finden. Die Aufstellung und Formulierung eines solchen Begriffes wird 
sich vor allem an die überall zutreffenden Momente halten müssen, daß eine Mehrheit von Staaten 
eine höhere Einheit bildet, welche selbst wieder Staat ist, daß die Staaten durch 
die Zugehörigkeit zu dieser höheren Einheit wohl ihre Souveränetät (s. unten 21ff.), nicht aber 
ihre Eigenschaft als Staaten verloren haben, und daß die Verfassung der höheren Einheit (der 
Reichs-, Bundes= oder Zentralgewalt) die verbündeten Einzelstaaten zur Mitwirkung bei der 
Bildung des sie beherrschenden Bundesstaatswillens beruft. Die wesentlichen Merkmale des 
Begriffes „Bundesstaat" sind also diese: 1. Staatlichkeit des Ganzen (d. h. des Bundes), 2. Staat- 
lichkeit der Glieder (der Einzelstaaten), 3. bündische (lorporative, genossenschaftliche, im Gegen- 
satz zur herrschaftlichen) Vereinigung der Glieder zum Ganzen. Ein Bund von Staaten, welcher 
Bundesstaat sein und heißen will, muß ein seinen Gliedem gegenüber selbständiges, ihnen 
übergeordnetes staatliches Gemeinwesen darstellen; sein Wille muß die Eigenschaft einer 
wahren Staatsgewalt (s. unten 19, 24) besitzen. Besitzt er diese Eigenschaft nicht, so ist die be- 
treffende Staatsverbindung keine staats-, sondern eine völkerrechtliche, kein Bundesstaat, sonderm 
ein Staatenbund. Die Gliedstaaten (Einzelstaaten) müssen trotz der Unterordnung unter die 
Bundesgewalt und den dadurch bedingten Verlust ihrer Souveränetät (s. unten 24) Staaten, 
d. h. Gemeinwesen mit eigenständiger Herrschaft über ihre Untertanen (vgl. unten 19, 24) geblieben 
sein; — andemfalls liegt weder ein Bundesstaat noch überhaupt eine Staatenverbindung, 
sonderm ein Einheitsstaat vor. Endlich muß die Struktur des Verhältnisses zwischen der Ge- 
samtheit und ihren Gliedern eine „bündische“, d. h. korporative, genossenschaftliche sein. Dieses 
Moment äußert sich darin, daß die Gliedstaaten der Bundesgewalt nicht nur unterworfen, 
sonderm, als ihre Mitinhaber, zugleich bei der Bildung ihres Willens beteiligt sind. Ein Ge- 
samtstaat, welcher seine Gliedstaaten nur unterwirft, ohne sie bei der Bildung seines Herrscher- 
willens heranzuziehen, wäre eine Staatenverbindung von der Art eines Herrschaftsverbandes, 
also ein Staatenstaat im engeren Sinne (s. oben), aber kein Genossenschaftsverband, kein 
Bundesstaat. 
So kann man definieren: Der Bundesstaat ist ein Gesamtstaat, ge- 
nossenschaftlich zusammengefügt aus einfachen Staaten, die 
cinerseits ihm unterworfen, anderseits an der Bildung seines 
Willens beteiligt sind. 
Es sei hier von vormherein zugegeben, daß der hiermit bezeichnete Begriff des Bundes- 
staates vorzugsweise auf die deutschen Verhältnisse, die Eigenart des Deutschen Reiches be- 
rechnet ist. Daß und inwieweit dies der Fall, inwieweit gerade das Deutsche Reich die Begriffs- 
merkmale des Bundesstaates besonders scharf im einzelnen ausprägt, soll später bei Erörterung 
der rechtlichen Natur des Reiches (unten § 10) im einzelnen nachgewiesen werden. 
§ 3. Die Staatsgewalt. 
I. Begriff. Staatsgewalt und Recht. — Der Staat hat, als eine Person im Sinne 
Rechtens, seinen Willen. Der Staatswille vermag zunächst alles, was andere juristische Per- 
sonen auch können und dürfen. Das privatrechtliche Wollen des Staates, wie es uns in seiner 
Gebarung als „Fiskus“ entgegentritt, unterscheidet sich in nichts von der Willensmacht, welche 
jeder physischen oder juristischen Person zukommt. Wir sehen hier den Staat im Bürgerkleid 
des Privatmannes, sehen, wie er nicht weniger, aber auch nicht mehr vermag, als die Kräfte 
der für alle und jeden gegebenen Rechtsordnung für seine Interessen in Bewegung zu setzen, 
— wie er besitzt und verliert, wagt und gewinnt, veräußert, kauft, erbt, wie er, um zu dem 
Seinigen zu kommen, prozessieren und auf Klage seiner Gläubiger vor den Gerichten Rede 
stehen muß. Vor welchen, wessen Gerichten? Vor seinen eigenen, die er als Bewahrer seiner 
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 2
	        
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