Deutsches Verwaltungsrecht. 207
Zwangsanwendung, den eigenartigen Begleiterscheinungen der polizeilichen Aktion, nicht
verbunden sind.
Der heutige Begriff der Polizei beruht nicht auf einem einheitlichen Gedanken. Er ist
vielmehr entwickelt aus zwei miteinander verknüpften Vorstellungen: der, daß es sich handelt
um eine Tätigkeit in bestimmter Form, und der, daß diese Tätigkeit auf einen bestimmten Zweck
gerichtet ist. Beide Momente sind daher auch in einer Definition des Polizeibegriffes zu berück-
sichtigen; läßt eine Tätigkeit eines vermissen, so ist sie, wie die vorerwähnten Beispiele zeigen,
keine spezifisch polizeiliche. Danach kommt man aber zu der Begriffsbestimmung: die Polizei
ist die mit Zwang verbundene Staatstätigkeit auf dem Gebiete
der inneren Verwaltung, welche auf die Abwehr von Störungen
der öffentlichen Ordnung gerichtet ist (vgl. O. Mayer 1, 249). Diese Begriffs-
bestimmung gilt für alle deutschen Rechtsgebiete. Die Entwickelung des Polizeibegriffes war
für ganz Deutschland eine einheitliche, überall getragen allein durch die Theorie und die Ver-
waltungspraxis. Ein gesetzlicher Eingriff in sie hat nirgends stattgefunden. Uberhaupt sind
gesetzliche Normen allgemeiner Natur über die Polizei außer in Preußen nur noch in Baden
(im Polizeistrafgesetzbuch vom 31. 10. 1863 § 30) aufgestellt; diese aber bestimmen ebenso wie
die des Allgemeinen Landrechtes nicht den Begriff der Polizei, sonderm nur deren Wirkungskreis.
II. Im Anschlusse an die vorangehende Begriffsbestimmung ist im einzelnen noch zu bemerken:
1. Da nach ihrer geschichtlichen Entwickelung die Polizei eine besondere Art von Tätigkeit
auf dem Gebiete der inneren Verwaltung ist, gehört einmal alle in anderen Verwaltungs-
zweigen entwickelte Staatstätigkeit, auch wenn sie in der Form und mit dem Ziele der polizei-
lichen auftritt, nicht zur Polizei; die Absperrung eines militärischen Schießplatzes durch Militär
ist nicht eine Ausübung der Polizeigewalt. Andererseits folgt aus der Beschränkung der Polizei
auf das Gebiet der inneren Verwaltung, daß sie, sofern nicht besondere gesetzliche Er-
mächtigungen vorliegen, nicht tätig werden darf im Interesse anderer Verwaltungszweige,
als z. B. der staatlichen oder gemeindlichen Finanzwirtschaft (Pr. OVG. E. 54, 265); die Polizei
kann daher z. B. da, wo die Straßenreinigung eine finanzielle Last der Gemeinde ist, nicht die
Anlieger zu solcher heranziehen; sie darf nicht in Polizeiverordnungen Anordnungen treffen,
welche dazu dienen, die Steuewerhältnisse Neuanziehender oder die Erfüllung der steuerlichen
Pflichten der Gemeindeangehörigen zu kontrollieren (Pr. Ob.Trib. Oppenhoff Rechtsprechung 19,
265; Kammer. Jahrb. 8, 182). Erst recht darf die Polizei natürlich, abgesehen von be-
sonderer gesetzlicher Ermächtigung (Gesindesachen), nicht in Angelegenheiten tätig werden, die
überhaupt nicht Verwaltungs-, sondern Justizsachen und daher vom ordentlichen Richter zu ordnen
sind; sie darf z. B. nicht zwangsweise einschreiten, um den Vermieter an der Ausübung des gesetzlichen
Pfandrechtes an den Sachen des Mieters zu hindern (Pr. O# G. E.4, 418; Ob. Trib. a. a. O. 13, 375).
2. Die innerhalb des Wirkungskreises der inneren Verwaltung liegende Staatstätigkeit
ist nur Polizei, wenn sie gerichtet ist auf die Abwehr von Störungen der öffentlichen Ordnung.
Daraus folgt, daß die mit der Polizei betrauten Behörden nur mit Befehl und Zwang ein-
greifen dürfen, wenn es die Wahrung dieser Ordnung gilt. Was aber den Begriff der öffent-
lichen Ordnung anlangt, so ist unter solcher zu verstehen die bestehende staatliche und gesell-
schaftliche Ordnung, welche als gerechte und notwendige Ordnung des Beieinanderlebens emp-
funden wird. Zu ihr gehört einmal die Rechtsordnung, soweit sie aus öffentlichrechtlichen
Normen besteht, ferner die Summe von Normen, deren Beobachtung nach den jeweils herrschen-
den ethischen und sozialen Anschauungen als Vorbedingung eines gedeihlichen Zusammenlebens
gilt (wie die Grundsätze über die öffentliche Sittlichkeit und den öffentlichen Anstand), und
endlich das, was das Allgemeine Landrecht öffentliche Ruhe und Sicherheit nennt, d. h. eine
den das öffentliche Leben bestimmenden Normen entsprechende Haltung der Bürger (Pr. OVG.
E. 6, 351) und das Gesichertsein der Gesamtheit wie des einzelnen gegen Schädigung und
Verletzung der vom Rechte anerkannten und geschützten Interessen. Jede Störung dieser
öffentlichen Ordnung rechtfertigt polizeiliche Aktion, soweit diese durch gesetzliche Bestimmungen
nicht weiter beschränkt ist. Die wichtigste hierher gehörige Bestimmung ist in dem zweiten Teile
des oben mitgeteilten § 10 II, 17 des Allgemeinen Landrechtes enthalten, nach welchem bei
Störungen der öffentlichen Ordnung, die nur von einzelnen empfunden werden, die Polizei