Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 221 
annahmen, die oberste Gerichtsbarkeit tatsächlich ganz in die Hände der Kanzleien (so in Hessen, 
Württemberg, Kursachsen). In den größeren Territorien wurden neben der allgemeinen Zentral- 
verwaltungsbehörde bald weitere, unmittelbar dem Landesherrn unterstellte Behörden für 
einzelne Verwaltungszweige organisiert. So besonders ein Kollegium für die landesherrliche 
Finanzverwaltung, die Hofkammer (Bayern), Amtskammer (Brandenburg; die 
Domänen wurden damals Amter genannt), Rentkammer (Württemberg) und bisweilen 
auch eines für die Heeresverwaltung, der Hofkriegsrat (Bayern, Württemberg). Die 
Aufgaben der zentralen Finanzbehörde bestanden gewöhnlich nur in der obersten Verwaltung 
der Domänen, der Führung einer Zentralkasse und der Rechnungskontrolle; die Steuern, die 
die Landstände bewilligten, wurden von ständischen Organen erhoben und verwaltet. 
Die Landesherren nahmen nach der Formierung der Kanzleien an den Beratungen dieser 
zunächst noch regelmäßig teil. Dann verbot sich dies von selbst durch die Häufung der laufenden 
Geschäfte. Die Landesherren behielten sich bald die wichtigsten Angelegenheiten zur persön- 
lichen Erledigung vor und entschieden über sie nach Beratung mit ihnen besonders vertrauten 
Räten. Auch diese Ratsversammlungen wurden zu ständigen Behörden formiert, und so ent- 
stand in allen größeren Territorien in der zweiten Hälfte des 16. und am Anfange des 17. Jahr- 
hunderts (in Sachsen 1574, Bayern Ende 16. Jahrh., Brandenburg 1604, Württemberg 1628) 
der Geheime Rat ein über den aälteren Zentralbehörden stehendes Verwaltungskollegium, 
dem der Landesherr dann bald auch viele der Geschäfte, die er sich zur Entscheidung vorbehalten 
hatte, zur selbständigen Erledigung, ohne seine Teilnahme, überließ. Diejenigen Angelegenheiten, 
die der Landesherr dann aber fernerhin noch seiner höchsteigenen Entscheidung vorbehielt, be- 
sonders auch die auswärtigen Angelegenheiten, pflegte er nur mit wenigen auserlesenen Mit- 
gliedern des Geheimen Rates zu beraten, und aus diesem engsten, den Landesherrn umgebenden 
Rate entstand dann im 18. Jahrhundert in den meisten größeren Territorien wieder eine neue 
Zentralbehörde, das Geheime Kabinett (in Sachsen 1704; Württemberg 1717; Bayern 
1726; Preußen unter Friedrich dem Großen, jedoch reichen die Anfänge der Entwickelung bis 
auf den Großen Kurfürsten zurück). Dieses war nunmehr die alleinige in unmittelbarem Ver- 
kehre mit dem Landesherrn stehende, ihn beratende Behörde; mit dem Geheimen Rate ver- 
kehrte der Landesherr meist nur durch seine Kabinettsräte, und nur nach den Anträgen dieser 
faßte er seine Entschließungen. 
Auch kollegialische Mittelbehörden entstanden in einzelnen größeren Terri- 
torien im 16. und 17. Jahrhundert, und zwar entweder durch Umgestaltung der mittelalterlichen 
Amter der Landeshauptleute oder Vizedome in kollegialische Behörden (so in Bayern die 
Regierungen für die Vitztums= oder Rentamtsbezirke) oder dadurch, daß Zentralbehörden in- 
solge Anfalles ihres Amtsbezirkes an ein anderes Territorium zu Mittelbehörden herabgedrückt 
wurden (Amtskammern in Brandenburg (s. d. flgde. ), Justizkanzleien in Hannover). 
II. In der Mark Brandenburg hatte sich, wie aus dem vorangehenden erhellt, 
zunächst im wesentlichen derselbe Behördenorganismus entwickelt wie in anderen größeren 
deutschen Territorien. Eigentümlich war der älteren brandenburgischen Organisation nur, daß 
neben dem 1516 errichteten Kammergerichte lediglich eine Amtskammer für die 
Finanzverwaltung, aber keine Zentralbehörde für die übrige Verwaltung geschaffen war; diese 
blieb noch lange unorganisiert und wurde in alter Weise vom Landesheriu und seinen Räten 
wahrgenommen. Nur in der Neumark, die von 1535—1571 einen eigenen Herrscher hatte, 
war wie in anderen Territorien eine kollegialische Zentralbehörde für Verwaltung und Rechts- 
pflege, die Regierung, und daneben eine Amtskammer entstanden, und diese beiden 
Behörden blieben dann auch bestehen, als die Neumark wieder mit dem Hauptlande ver- 
einigt wurde; sie verloren nur gleich der in diesem vorhandenen Amtskammer ihre Stellung 
als Zentralbehörden. Als dann 1604 der Geheime Rat eriichtet wurde, wurden diesem 
die beiden Amtskammern wie die neumärkische Regierung untergeordnet. 
Im Laufe des 17. und im 18. Jahrhundert entfernte sich jedoch die Entwickelung der 
brandenburg-preußischen Verwaltungsorganisation erheblich von der der übrigen deutschen 
Länder. Die Gründe hierfür lagen einmal in den Gebietserweiterungen, die der Staat erfuhr, 
und sodann in einer eigenartigen Ausgestaltung der Heeresverwaltung und des Steuerwesens.
	        
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