Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 229 
seiner beschränkten Kompetenz zunächst nicht als lebensfähig erwies. In der Kreis- und Lokal- 
instanz blieb die Behördenorganisation für die Staatsverwaltung durch die Stein-Harden- 
bergische Reform unberührt; insbesondere blieb auch in Preußen die Patrimonialgerichtsbarkeit 
der Gutsherren bis zur Mitte des Jahrhunderts bestehen (aufgehoben durch V. v. 2. 1. 1849). 
Nur das polizeiliche Exekutivpersonal erhielt eine neue und einheitliche Organisation, indem 
wie in den Südstaaten nach französischem Muster eine militärisch organisierte Gendarmerie 
geschaffen wurde (Gendarmerieedikt v. 30. 7. 1812, dann ersetzt durch V. v. 30. 12. 1820). 
II. Eine abermalige Reorganisation der Verwaltung erfolgte in Preußen und den Süd- 
staaten im zweiten, in einer Reihe anderer Staaten im dritten und vierten Jahrzehnt des 19. Jahr- 
hunderts. In Preußen handelte es sich vorzüglich um Ausdehnung der vorhandenen Organisation 
auf das infolge der Freiheitskriege erweiterte Staatsgebiet, das zu diesem Zwecke neu eingeteilt 
wurde in Provinzen, Bezirke und Kreise. Gleichzeitig wurde das Oberpräsidentenamt unter 
Erweiterung seiner Kompetenz neu belebt und allgemein eingeführt; und die Wirksamkeit der 
Landräte wurde auch auf die Städte ausgedehnt (oben S. 224), nur die „ansehnlichen“ unter 
ihnen sollten nicht zum landrätlichen Kreise gehören, vielmehr mit ihrer Umgebung eigene Stadt- 
kreise bilden (V. v. 30. 4. 1815). Das Gesamtstaatsministerium und der Staatsrat wurden in der 
Gestalt errichtet, die sie heute noch haben (V. v. 3. 6. 1814, 20. 3. 1817). In den Mittelstaaten 
war dieser Reorganisation besonders charakteristisch, daß das Präfektursystem für die Mittel- 
behörden wieder aufgegeben und die kollegiale Geschäftserledigung als die reguläre für sie 
anerkannt wurde (Baden V. v. v7. 4. 1813, Bayern v. 27. 3. 1817, Württemberg V Ed. v. 
18. 11. 1817, Großh. Hessen V. v. 28. 5. 1821, Sachsen V. v. 6. 4. 1835). 
III. Eine letzte große Reorganisation der Staatsbehörden endlich fand in Baden 1863 
in einer Reihe anderer deutscher Staaten in den 70 er Jahren des 19. Jahrhunderts statt. Sie 
wurde veranlaßt einmal durch eine große Strömung, welche unter Wiederaufnahme Stein- 
scher Gedanken und gefördert durch die Lehren Gneists (s. oben S. 201) Erweiterung 
der Selbstverwaltung in ihrer doppelten Bedeutung, d. h. weitere ehrenamtliche 
Beteiligung der Laien an den Staatsgeschäften und Ausbau der korporativen Selbstverwaltung 
verlangte, und sodann durch das Bedürfnis nach neuen Behörden für die Verwaltungs-I 
gerichtsbarkeit. Die umfassendste dieser Reorganisationsgesetzgebungen war die preußische, 
welche mit der Kreisordnung für die östlichen Provinzen (außer Posen) v. 13. 12. 1872 begann. 
Diese beseitigte die letzten Reste der feudalen Organisation, die Patrimonialpolizei der Gutsherren, 
und schuf eine ehrenamtliche Verwaltung der verstaatlichten Polizei auf dem Lande (Amts- 
vorsteher); sie gestaltete die Kreise zu leistungsfähigen Selbstverwaltungskörpern aus und schuf 
in den Kreisausschüssen ein vorzüglich aus Ehrenbeamten bestehendes Kollegium, das 
gleichzeitig als Kommunal= wie als Staatsorgan bestellt und in letzterer Eigenschaft auch mit der 
Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in unterster Instanz betraut wurde. Dann wurde 
die Reform weitergeführt durch die Provinzialordnung für die östlichen Provinzen (außer Posen) 
v. 29. 6. 1875, welche auch die Provinzialverbände zu leistungsfähigen Selbstverwaltungskörpern 
umbildete, neben neuen Kommunalorganen für diese (Provinzialausschuß, Landesdirektor) 
aber auch zwei neue Organe für die Staatsverwaltung schuf, die Provinzial= und die 
Bezirksräte, aus Berufs= und Ehrenbeamten gemischte Kollegien. Den einstweiligen 
Abschluß der Reform endlich bildeten das Verwaltungsgerichtsgesetz v. 3. 7. 1875, welches für 
jeden Regierungsbezirk ein aus Berufs= und Ehrenbeamten zusammengesetztes Bezirks- 
verwaltungsgericht und als oberste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit das 
Oberverwaltungsgericht ins Leben rief, und das Zuständigkeitsgesetz v. 26. 7. 1876, 
welches die Zuständigkeit der neugeschaffenen Verwaltungsbehörden und -gerichte im einzelnen 
tegelte. Allein die neue Gesetzgebung hatte auch die Organisation der älteren Staatsbehörden 
(Oberpräsidenten, Regierungen) in zahlreichen Punkten abgeändert, und die geltenden organi- 
satorischen Bestimmungen waren in mehreren Gesetzen zerstreut. Daher schien es bald wünschens- 
wert, diese geltenden Bestimmungen zusammenzustellen, um ein übersichtliches Bild von der 
bestehenden Organisation und dem Verfahren zu geben. Diesem Bedürfnisse entsprang das 
Organisationsgesetz v. 26. 7. 1880, welches materiell nur die eine wichtige Anderung brachte, 
daß es für die erste Abteilung der Regierungen das Bureausystem einführte. Eine abermalige
	        
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