Deutsches Verwaltungsrecht. 239
ein Kollegium mit einem oder mehreren Bürgermeistern an der Spitze, dessen Mitglieder regel-
mäßig für ein Jahr bestellt wurden. Er wurde gewählt von der ganzen Bürgerschaft oder von
einer Aristokratie ratsfähiger Geschlechter; im 14. und 15. Jahrhundert erhielten meist auch
die Zünfte einen Einfluß auf seine Zusammensetzung. Hand in Hand mit der Entwickelung dieser
Stadträte veränderte sich aber auch die politische Stellung der Städte. Das neue, die Bürger-
schaft repräsentierende Organ trat zunächst in Gegensatz zu dem Beamten des Stadtherrn (des
Königs, Bischofs, Fürsten oder bloßen Grundherrn), dem Stadtschultheißen, dann gelang es
ihm, diesen ganz herauszudrängen. Der Rat erlangte das Recht der Autonomie, die Polizei
und Gerichtsbarkeit, das Besteuerungsrecht und andere Hoheitsrechte. Den meisten größeren
Städten gelang es, sich völlig freizumachen von der Herrschaft des Stadtherrn; sie wurden
zu tatsächlich völlig unabhängigen republikanischen Gemeinwesen. Allein diesem Wachstum der
städtischen Macht nach außen entsprach bald nicht mehr eine gleiche gesunde Entwickelung der
inneren städtischen Verhältnisse. Die Bürger wurden gänzlich von der Verwaltung zurück-
gedrängt, die Ratsverfassung erfuhr eine verhängnisvolle Umgestaltung. An die Stelle der Be-
setzung der Ratsstellen durch Wahl und für eine kurze Amtsperiode trat die Kooptation für
Lebenszeit. Die Ratsstellen blieben gewöhnlich in den Händen bestimmter Familien, die nur
darauf bedacht waren, diese guten Einnahmequellen ihren Angehörigen zu erhalten und ihre
Zahl stetig zu vermehren. Die städtischen Finanzen befanden sich daher in der trostlosesten Lage.
Der Rat, welcher sich als die „von Gott verordnete Obrigkeit“ und nicht mehr als Repräsentant
der Bürgerschaft betrachtete, wirtschaftete ohne jede Kontrolle der von ihm unterdrückten Bürger
nur im eigenen Interesse; so sanken die Einkünfte der Städte von Jahr zu Jahr, während die
Schuldenlasten ins Unermeßliche wuchsen
Eine Anderung in diesen verdorbenen Verhältnissen wurde erst durch das Eingreifen der
Landesherren herbeigeführt, die nach dem Sinken der kaiserlichen Gewalt in den Städten den
gefährlichsten ihrer Machtentfaltung entgegentretenden Faktor sahen und daher darauf bedacht
waren, diese ihrer Territorialhoheit zu beugen. In Brandenburg haben bereits im 16. Jahr-
hundert die Landesherren versucht, die städtische Verfassung zu reorganisieren (Polizeiverordnungen
v. 1515, 1540), dauernde und durchgreifende Reformen sind jedoch erst dem Großen Kurfürsten
und vor allem Friedrich Wilhelm I. gelungen. Dieser ließ, nachdem die Unterordnung der Städte
unter die Staatsgewalt vollzogen war, die Verwaltung der einzelnen Städte durch Kommissionen
revidieren und ordenete sie dann bis ins einzelne durch für die einzelnen Städte erlassene Ver-
ordnungen („rathhäusliche Reglements'). Dabei wurde die Zahl der Ratsstellen vermindert,
an Stelle der Kooptation landesherrliche Ernennnung eingeführt, oder die Ratswahlen wurden
doch landesherrlicher Bestätigung unterworfen. Die ganze städtische Verwaltung, insbesondere
die Vermögensverwaltung, wurde staatlicher Kontrolle und Bevormundung unterstellt, die
in unterster Instanz von dem Commissarius loci (oben S. 224, 226) geübt wurde. Von einer Selbst-
verwaltung der Städte war kaum noch etwas übrig; aus freien kommunalen Gebilden waren
sie zu staatlichen Verwaltungsbezirken geworden. Die Bürger wurden von den Bedrückungen
durch die Patrizier befreit, allein ihre Beteiligung an der städtischen Verwaltung wurde nicht
erweitert. Wo eine solche überhaupt stattfand, beschränkte sie sich auf eine geringfügige Mit-
wirkung bei der Vermögensverwaltung. Die „Repräsentanten“ aber, durch welche die Bürger-
schaft ihre Rechte ausübte, wurden meist nicht von ihr, sondern von den Zünften und sonstigen
städtischen Korporationen gewählt oder gar von der Stadtobrigkeit bestellt. Das Bürgerrecht
hatte also nur eine sehr geringe politische Bedeutung. An den von Friedrich Wilhelm I. bei
seiner Reorganisation der städtischen Verwaltungen realisierten Grundsätzen hielt auch Fried-
rich II. fest, und auch das Allgemeine Landrecht, das II, 8 9§ 86—176 die Grundzüge der städtischen
Verfassung normierte, hat prinzipiell an dem vorgefundenen Bestande dieser nichts geändert.
Seine Bedeutung war vielmehr lediglich die, daß es erstmalig Grundsätze über die Stadt-
verfassung aufstellte, die sich Geltung im ganzen Staatsgebiete beilegten; nicht einmal zu einer
Vereinheitlichung der Stadtverfassung hat es geführt, indem es nur subsidiäre Geltung in An-
spruch nahm, die vorhandenen verschiedenen Stadtverfassungen also fortbestehen ließ. Ahnlich
wie in Preußen wurden in Braunschweig-Lüneburg die Verhältnisse der einzelnen Städte durch
Anordnungen der Regierung neu geregelt. In anderen Territorien dagegen ergingen einheit-
liche Gesetze für alle Städte des Landes (Bayern: Stadt= und Marktinstr. 1748; Württemberg: