Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

240 Paul Schoen. 
Kommun.O. 1758; Baden-Durlach: Kommun.O. 1760), welche eine weitgehende staatliche 
Bevormundung dieser einführten, im Gegensatze zu den brandenburg-preußischen Ordnungen 
sich jedoch darauf beschränkten, die Vermögensverwaltung und die staatliche Beaufsichtigung 
der Städte zu regeln, die hergebrachten organisatorischen Einrichtungen dagegen, wie die Selbst- 
ergänzung des Stadtvorstandes, lebenslängliche Bestellung seiner Mitglieder u. a., gewöhnlich 
fortbestehen ließen. 
II. Die Landgemeinden standen in Deutschland seit der Zeit der Karolinger meist 
unter der Herrschaft eines Grundherrn. Nur in einzelnen Gegenden Süddeutschlands, in den 
Rheinlanden, in Westfalen, Niedersachsen, Friesland und Dithmarsen hatten sich freie Bauern- 
dörfer in größerer Anzahl erhalten. Die Organisation dieser Landgemeinden war im all- 
gemeinen die gleiche. Die Gemeindemitgliedschaft war an Hufenbesitz in der Gemeinde ge- 
knüpft. Vielfach wurde für die volle Berechtigung in der Gemeinde ein Grundbesitz von be- 
stimmtem Umfange verlangt, und denen, die einen solchen hatten (Vollbauern), traten die Be- 
sitzer kleinerer Höfe als Minderberechtigte (Halbbauern, -spänner) gegenüber. Alle wichtigen 
Gemeindeangelegenheiten wurden in der aus allen Gemeindegenossen bestehenden Gemeinde- 
versammlung beschlossen. Die Leitung dieser Versammlung wie die Besorgung der laufenden 
Geschäfte lag dem Gemeindevorsteher (Bauermeister, richter, Dorfführer, Schulze) ob, der in 
freien Gemeinden gewählt, in grundherrlichen gewöhnlich von der Herrschaft ernannt wurde. 
Auch kollegialische, den städtischen Räten nachgebildete Gemeinderäte entstanden in freien 
Gemeinden, waren jedoch in den meisten Landschaften eine vereinzelte Erscheinung. Die Auf- 
gaben der Landgemeinden waren zunächst wirtschaftliche: Regulierung der Feldwirtschaft des 
einzelnen und Sorge für die gemeine Mark. Sie hatten aber auch eine weitgehende Autonomie, 
polizeiliche Funktionen und die niedere Gerichtsbarkeit. Das Recht wurde ursprünglich von der 
Gesamtheit der Dorfgenossen gefunden, später traten an die Stelle dieser ständige Urteilsfinder 
oder Schöffen, die dann auch in Verwaltungssachen als Gehilfen des Gemeindevorstehers ver- 
wendet wurden. Wesentlich anders als im übrigen Deutschland war die Rechtslage der durch 
die deutsche Kolonisation gegründeten Dörfer in denrechtselbischen Gebieten, 
die überhaupt nicht den Charakter von politischen Gemeinden hatten. Sie waren lediglich 
unterste Bezirke für die landesherrliche Verwaltung, innerhalb welcher die Abgaben und Dienste 
der Bauern für den Landesherri entrichtet, die Ortspolizei und die niedere Gerichtsbarkeit 
von dem Schulzen, dessen Amt hier vielfach erblich mit einem bestimmten Gute verbunden war 
(Lehn-, Erbschulze), als Organ des landesherrlichen Vogtes gehandhabt wurden. Die Bauern 
des Dorfes bildeten lediglich einen privatwirtschaftlichen Verband, wie er durch die gemein- 
same Bodenkultur jener Zeit und durch die gemeinsame Benutzung von Wald und Weide sich 
von selbst ergab. Im 13. und 14. Jahrhundert aber kamen die Bauernansiedlungen hier faft 
ausnahmslos unter die Herrschaft der Rittergutsbesitzer, die die Hoheitsrechte über die bei ihren 
Gütemn belegenen Dörfer erwarben (oben S. 220) und damit nach damaliger Rechtsanschauung 
auch Obereigentümer aller bäuerlichen Grundstücke wurden. Die Bauern wurden so politisch 
wie wirtschaftlich völlig abhängig von dem Gutsherrn, dessen unbeschränkte Herrschaft über das 
Dorf die Entwickelung dieses zum politischen Gemeinwesen unmöglich machte. 
Im 16. und 17. Jahrhundert trat in den meisten Teilen Deutschlands ein Verfall der 
alten Landgemeinden ein, veranlaßt durch die Herabdrückung des persönlich freien Bauern- 
standes in Hörigkeit und Leibeigenschaft, durch das vollständige Unterliegen der Bauern im 
Bauernkriege und die Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges. Auch in Süd= und Westdeutsch- 
land verloren die Landgemeinden ihre Autonomie und ihre Gerichte, und ihre Selbstverwaltung 
wurde überall eingeengt durch ausgedehnte obrigkeitliche oder grundherrliche Aufsichtsrechte; 
vielfach gingen sie auch ihrer wirtschaftlichen Grundlage, der Allmende, verloren, die die Landes- 
herren unter Inanspruchnahme der Obermärkerschaft an sich zogen. Gleichzeitig begannen die 
Landesherren jedoch auch gesetzgebend in die Verhältnisse des platten Landes einzugreifen: 
Sie erließen Anordnungen, welche im Interesse der Erhaltung des Bauernstandes der Einziehung 
der bäuerlichen Grundstücke durch die Gutsherrschaften steuerten, sie normierten in Dorf= und 
Flurordnungen das wirtschaftliche Leben der Gemeinden. Sie überwiesen diesen aber auch 
öffentliche Aufgaben, wie besonders die Armenpflege und das Schulwesen — Angelegenheiten, 
die bislang der Kirche überlassen waren und erst neuerdings als staatliche angesehen wurden —,
	        
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