Deutsches Verwaltungsrecht. 241
und ordneten im Zusammenhange damit die Errichtung von Gemeindekassen und die Erhebung
von Abgaben für diese an. Die öffentliche Verwaltung der Gemeinden und die ganze dieser
dienende gemeindliche Finanzwirtschaft wurden der Kontrolle staatlicher Beamten unterstellt,
die auch da Platz griff, wo die Gemeinde zunächst unter einem Gutsherrn stand. Auch die persön-
liche Grundlage der Dorfgemeinde blieb nicht unangetastet: Unangesessenen Leuten, die im
Dorfe wohnten (Einlieger, Tagelöhner), wurde durch landesherrliche Verordnungen das Orts-
bürgerrecht zugänglich gemacht, und damit verloren die Landgemeinden in vielen Gebieten ihren
alten, realen Charakter. Durch obrigkeitliche Anordnungen vorzüglich wurde so auf dem Boden
der alten Wirtschaftsgemeinde die politische Landgemeinde gebildet (Gierke 1, 693 ff.).
8 13. Die Entwickelung vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
I. Ebenso wie die Organisation der Staatsbehörden erfuhr die der Gemeinden am An-
fange des 19. Jahrhunderts weitreichende Umgestaltungen, und auch hier stand eine Reihe von
Staaten unter französischem Einflusse. In Frankreich hatte, nachdem schon die Revolutionsgesetz-
gebung die alten, den deutschen ähnlichen Verhältnisse beseitigt hatte, die napoleonische Gesetz-
gebung das Gemeindewesen neu organisiert. Sie hatte in ihrer uniformierenden Tendenz eine
einheitliche Gemeindeverfassung für Stadt und Land geschaffen und alle Gemeinden zu Ver-
waltungsbezirken gemacht, deren korporative Gestaltung nur dazu diente, die Kosten der ört-
lichen Verwaltung aufzubringen. Nach ihr wurde die gesamte Verwaltung der Gemeinde
einem von der Regierung ernannten Maire übertragen, der zwar ehrenamtlich angestellt, aber
dem Präfekten unbedingt untergeordnet war. Diesem zur Seite stand ein Gemeinderat mit
äußerst beschränkten Befugnissen, dessen Mitglieder vom Präfekten ermannt und abgesetzt werden
konnten. Das Gemeindevermögen wurde als Teil des Staatsvermögens behandelt. Diese
französische Gesetzgebung wurde zunächst eingeführt in den mit Frankreich verbundenen deut-
schen Gebieten und in den französischen Vasallenstaaten (Großherzogtum Berg, Frankfurt,
Königreich Westfalen). Sie war dann aber auch das Muster, nach dem Bayern (Ed. v. 24. 9.
1808) und Baden (26. 11. 1809) und noch nach den Freiheitskriegen Nassau (1819) und das
Großherzogtum Hessen (1821) die alte Gemeindeverfassung umgestalteten.
In diametralem Gegensatze zu diesen, französische Einrichtungen übermehmenden Gemeinde-
gesetzzebungen in Süd= und Westdeutschland stand die Steinsche Städteordnung
v. 19. 11. 1808, durch welche das Städtewesen in Preußen eine grundsätzliche Reorganisation
erfuhr. In dieser Städteordnung hatte Stein den Gedanken, den Gemeingeist und das Interesse
am öffentlichen Leben durch Beteiligung der Bürger an der Verwaltung neu zu beleben (oben
S. 202, 228), in vollstem Umfange verwirklicht. In ihr wurden die Städte wieder als selbständige
Gemeinwesen anerkanntj; sie erhielten die freie Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten und
blieben nur einer auf das Notwendigste beschränkten Staatsaussicht unterstellt. Den Bürgern
aber wurde eine tätige Einwirkung auf die städtische Verwaltung durch die neugeschaffene
Stadtverordnetenversammlung und die Heranziehung zur Verwaltung von unbesoldeten
Magistratsstellen und anderen städtischen Amtern gesichert. So ist nicht mit Unrecht die Städte-
ordnung von 1808 als eine magna charta für die preußischen Städte bezeichnet worden.
Allein sie hatte eine noch weiter reichende Bedeutung. Sie wurde der Ausgangspunkt für die
deutsche kommunale Selbstverwaltung. Auf ihr fußten die meisten späteren Gemeinde-
gesetze, die die Freiheit und Selbstverwaltung der Gemeinden anerkannten. Zu einer Reform
der ländlichen Gemeindeverfassung kam es dagegen in Preußen nicht. Wohl erhielten die Bauerm
die persönliche Freiheit (Ed. v. 9. 10. 1807) und freies Eigentum an Grund und Boden (Ed.
v. 14. 9. 1811), allein einer Erhebung der Landgemeinde zum selbständigen Gemeinwesen
standen fast überall die Rechte der Gutsherren entgegen, deren Aufhebung auf unüberwind-
lichen Widerstand stieß.
II. Eine neue Phase in der Entwickelung des Gemeinderechtes begann in vielen Gebieten
alsbald nach den Freiheitskriegen. Nur in den Ländern des linken Rheinufers blieb das fran-
zösische Recht bestehen; in den Staaten diesseits des Rheines wurde die auf ihm beruhende
Gemeindegesetzgebung beseitigt, nur die gleichartige Behandlung von Stadt und Land erhielt
sich im südlichen und westlichen Deutschland. Gesetze, die besonders darauf abzielten, den Ge-
Eniyklopädie der Rechtswifenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 16