Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 245 
Diese Grundsätze über die Gemeindemitgliedschaft sind zuerst aufgegeben in Frankreich 
durch die Revolutionsgesetzgebung von 1789. Diese löste das Recht der Niederlassung und Ver- 
ehelichung, des Grunderwerbes und Gewerbebetriebes wie den Anspruch auf Armenunterstützung 
von der Gemeindeangehörigkeit völlig los und knüpfte den Erwerb dieser an die Tatsache der 
Niederlassung und ihren Verlust an die der Aufgabe des Domizils in der Gemeinde. Zu dem- 
selben Resultate gelangte dann die Gesetzgebung in Preußen in der Gemeindeordnung von 
1850, nachdem hier in Ubereinstimmung mit der bereits von der Stein-Hardenbergischen Reform- 
gesetzgebung anerkannten Freiheit des Grundeigentumserwerbes und der Gewerbefreiheit schon 
die Städteordnung von 1831 jeden Zusammenhang zwischen der Gemeindeangehörigkeit und 
dem Rechte, Grundstücke zu erwerben und Gewerbe zu betreiben, aufgehoben und ein Gesetz 
v. 31. 12. 1842 auch den Anspruch auf Armenunterstützung, der schon nach dem Allgemeinen 
Landrechte nicht mehr unbedingt die Gemeindeangehörigkeit voraussetzte, ganz von dieser ge- 
löst hatte. Andere deutsche Staaten haben erst infolge der Reichsgesetzgebung, welche unter 
Ausdehnung der preußischen Grundsätze auf das Reichsgebiet überall in diesem für den Erwerb 
von Grundbesitz, den Gewerbebetrieb, für Aufenthalt und Niederlassung die Bedingung der 
Gemeindeangehörigkeit beseitigte, die Verehelichung ohne Rücksicht auf diese gestattet und den 
Anspruch auf Armenunterstützung lediglich aus dem Aufenthalte an einem Orte entstehen läßt, 
mit den alten Grundsätzen gebrochen. Durch diese Reichsgesetzgebung verlor das Heimatsrecht fast 
alle Bedeutung 1. Daher haben sämtliche neueren Gemeindeordnungen es auch fallen gelassen. 
Sie erklären, ebenso wie die preußische Gesetzgebung, alle Einwohner der Gemeinde für Gemeinde- 
angehörige oder -mitglieder und legen allen Einwohnern das Recht bei, die öffentlichen Gemeinde- 
anstalten zu benutzen, wie sie sie andererseits verpflichten — bei längerem als dreimonatlichem 
Aufenthalte (RG. v. 1. 11. 1867 § 8) —, an den Gemeindelasten teilzunehmen. Sie lassen die Ge- 
meinde angehörigkeit verloren gehen mit der Aufgabe des Wohnsitzes in der Gemeinde. Dagegen hat 
das Bürgerrecht seine alte Bedeutung im wesentlichen gewahrt. Es umfaßt noch heute das aktive 
und passive Wahlrecht zu den Gemeindeämtern wie die Pflicht, Ehrenämter in der Gemeinde 
zu übernehmen, und ist vielfach auch noch die Voraussetzung für die Teilnahme an den Gemeinde- 
nutzungen geblieben. Daher haben auch die modernen Gemeindeordnungen regelmäßig den 
Begriff des Bürgerrechtes beibehalten (wo er fehlt, wie besonders in Elsaß-Lothringen, werden 
Einwohner und Wahlberechtigte unterschieden). Auch der Erwerb des Bürgerrechtes vollzieht 
sich in vielen Gebieten noch nach alten Grundsätzen, d. h. durch Abstammung, Verehelichung, 
Aufnahme oder Anstellung (z. B. Württemberg, Hessen, Kgr. Sachsen rev. St O., Hannover St O., 
S.-Weimar). Im größten Teile Deutschlands haben die Gemeindegesetzgebungen jedoch dieses 
System der geschlossenen Bürgergemeinde aufgegeben und sind zum System der sog. Einwohner- 
gemeinde übergegangen, indem sie jeden Einwohner der Gemeinde ohne weiteres Bürger werden 
lassen, sobald bestimmte Voraussetzungen, wie männliches Geschlecht, bestimmtes Alter, Selb- 
ständigkeit, Zensur u. a., bei ihm zutreffen (so besonders Preußen außer Hannover; Oldenburg, 
Baden in den Gemeinden, in denen die Städteordnung gilt; über die eigenartigen Verhältnisse 
in den anderen badischen Gemeinden, für die man allerdings auch zur Einwohnergemeinde 
übergegangen ist, dabei aber doch die alte Bürgergemeinschaft mit besonderen Berechtigungen 
beibehalten hat, s. Walz, StR. 175, 177 ff.). In den Gebieten der Bürgergemeinde ist überall 
Fremden unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Aufnahme gegeben, wie umgekehrt 
in ihnen auch bisweilen eine Verpflichtung zum Erwerbe des Bürgerrechtes statuiert ist (Gannover 
St O., Sachsen St.O). Ein drittes in der älteren Gesetzgebung Norddeutschlands für die Land- 
gemeinden anerkanntes System, welches die Eigenschaft dieser als wirtschaftlicher Verbände 
der Grundbesitzer zu wahren sucht, indem nach ihm alle Grundbesitzer der Gemeinde, auch Frauen, 
unselbständige und juristische Personen und auch Personen, die nicht in der Gemeinde wohnen, 
Gemeindebürger sind (Grundbesitzergemeinde), steht heute nur mehr noch in wenigen Gebieten 
(Hannover, Königreich Sachsen) in Geltung, und auch hier nicht in seiner reinen Form, indem 
außer den Grundbesitzern noch andere zu den Bürgern gehören. Für die Aufnahme in den Bürger- 
1 ausgenommen in Bayern, wo die RG. über die pol. Beschränkungen der Eheschließung 
v. 4. 5. 1868 und über den Unterstützungswohnsitz v. 6. 6. 1870/30. 5. 1908 bislang nicht eingeführt 
sind; allein auch hier wird das Heimatsrecht "et# seine alte Bedeutung verlieren, indem das UW G. 
gemäß RG. 30. 6. 1913 auch in Bayern in Kraft tritt. 
 
	        
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