Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 247 
ist die Gemeindevertretung, abgesehen von kleinen Gemeinden, überall ein gewählter Bürger- 
ausschuß (in den Städten der Rheinprovinz Stadtverordnetenversammlung, in Elsaß-Lothringen 
Gemeinderat genannt). Der Gemeindevorstand ist in Württemberg und Baden kollegialisch (Ge- 
meinderat, Stadtrat), in den anderen Gebieten unter dem nachwirkenden Einflusse der französischen. 
Gesetzgebung durchweg bureaumäßig organisiert, wobei allerdings in der Rheinprovinz und Hessen 
den Städten die Befugnis beigelegt ist, statutarisch die kollegialische Magistratsverfassung einzu- 
führen. Die Mitglieder des Gemeindevorstandes werden gewählt; nur in Elsaß-Lothringen 
werden nach französischem Grundsatze der Bürgermeister und die Beigeordneten staatlich ernannt. 
Über die Wahl zur Gemeindevertretung und das Stimmrecht in der Gemeinde- 
versammlung gelten in den verschiedenen Rechtsgebieten außerordentlich verschiedene Be- 
stimmungen. Wahl- bzw. stimmberechtigt sind überall die Gemeindebürger, nach manchen 
Gemeindeordnungen noch weitere Kreise der Einwohner, auch Forensen und juristische Personen, 
die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Das Wahl- und Stimmrecht ist bald ein gleiches, so 
daß die Stimme jedes Berechtigten den gleichen Wert hat, bald ein ungleiches; dieses da, wo 
das Dreiklassenwahlsystem gilt (bes. in Preußen außer Hannover, Frankfurt a. M. u. Schleswig- 
Holstein St O. und in Baden), wo das Stimmrecht abgestuft ist nach Maßgabe der Steuer- 
zahlung oder in Landgemeinden nach Art und Maß des Grundbesitzes (LGO. östl. Provinzen, 
Schleswig-Holstein, Hessen-Nassau, Westfalen, Hannover), und wo die Proportionalwahl ein- 
geführt ist (Württemberg). 
III. Rechtlicher Charakter und Zuständigkeit des Gemeinde- 
vorstandes und der Gemeindevertretung. Der Gemeindevorstand ist eine 
Behörde, seine Mitglieder sind Beamte der Gemeinde. Die Gemeindevertretung hat keinen 
behördlichen Charakter; sie ist eine politische Körperschaft, ihre Mitglieder sind keine Beamte. 
Der Gemeindevorstand hat die Leitung der ganzen Gemeindeverwaltung, die Ausübung der 
obrigkeitlichen Funktionen in der Gemeinde und die Vertretung der Gemeinde nach außen. 
Die Gemeindevertretung ist ein lediglich beschließendes und den Gemeindevorstand kontrol- 
lierendes Organ;z ihr fehlt jede Exekutive, alle ihre Beschlüsse bedürfen der Ausführung durch 
den Gemeindevorstand. Hinsichtlich der beschließenden Kompetenz der Gemeindevertretung 
bestehen zwei Systeme. Nach dem einen, welches namentlich in Preußen (außer Hannover) 
gilt, hat sie über alle Angelegenheiten Beschluß zu fassen, die nicht ausdrücklich dem Gemeinde- 
vorstande überwiesen sind. Nach dem anderen, das von den meisten außerpreußischen Gesetz- 
gebungen angenommen ist, hat sie nur über die im Gesetze ausdrücklich aufgezählten An- 
gelegenheiten (es kehren regelmäßig wieder: Erlaß von Statuten, Feststellung des Etats, Auf- 
erlegung von Steuem, Aufnahme von Darlehen, Veräußerung und Erwerb von Grundeigentum 
und andere wichtige Akte der Vermögensverwaltung) zu beschließen, während alle anderen 
vom Vorstande allein zu entscheiden sind. Das Verhältnis der beiden Gemeinde- 
organe zueinander ist da, wo der Gemeindevorstand kollegialisch ist, unbedingt das 
der Koordination. Der Gemeindevorstand hat daher hier auch nur die Beschlüsse der Gemeinde- 
vertretung auszuführen, denen er zustimmt; verweigert er seine Zustimmung, so hat nach den 
meisten Gesetzen für den Fall, daß die Angelegenheit nicht auf sich beruhen kann, die Aussichts- 
behörde zu entscheiden. Wo der Gemeindevorstand dagegen bureaumäßig organisiert und der Ge- 
meindevorsteher auch Vorsitzender der Gemeindevertretung ist, hat er, außer in Elsaß-Lothringen, 
eine unselbständigere Stellung dieser gegenüber. Er hat kein Recht der Zustimmung zu ihren 
Beschlüssen, kann diese vielmehr nur wegen Verletzung des Gemeindeinteresses und wegen 
Rechtswidrigkeit (Rheinprovinz St O. u. LGO.; östliche Provinzen, Schleswig-Holstein, Hessen- 
Nassau, Westfalen LGO.) oder auch nur wegen Rechtswidrigkeit (Hessen St O. u. LGO.) be- 
anstanden und die Entscheidung der Aufsichtsbehörde herbeiführen. 
IV. In größeren Städten werden außer den beiden unmittelbaren Gemeindeorganen 
noch niedere Gemeindebehörden bestellt, Verwaltungsausschüsse oder 
Deputationen und Bezirksvorsteher. Jene werden entweder zur dauernden 
Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Verwaltungszweige (z. B. des Schulwesens, Armen- 
wesens) oder zur Erledigung vorübergehender Aufträge bestellt und aus Mitgliedern der städtischen 
Kollegien und anderen Bürgern zusammengesetzt. Die Bezirksvorsteher dagegen werden für 
örtliche Bezirke (Distrikte, Quartiere) angestellt, in welche die großen Städte für Verwaltungs-
	        
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