Deutsches Verwaltungsrecht. 249
durch welche die Gemeinden sich die Mittel erhalten und verschaffen, um ihren anderen Auf-
gaben zu genügen, und die Verwaltung der örtlichen Stiftungen. Weiter ist die Gemeinde als
Ortsarmenverband die Hauptträgerin der Armenpflege, als Schulverband trägt sie die Lasten
der Volksschule und ist an der Verwaltung dieser beteiligt, und auch auf dem Gebiete des öffent-
lichen Versicherungswesens sind ihr eine Reihe von einzelnen Aufgaben überwiesen (RVersO.
98 628 f., 892 f., 809 ff., 825 ff. usw.). Auch an der Verwaltung der Ortspolizei sind regelmäßig
die Gemeinden beteiligt. Als Selbstverwaltungsangelegenheit, d. h. zur selbständigen Ver-
waltung ist sie ihnen allerdings nur in Württemberg (GemO. Art. 8) und einigen kleineren
Staaten, wie Braunschweig, Sachsen-Weimar, Sachsen-Koburg-Gotha, übertragen. In Preußen,
Bayern, Sachsen, Baden usw. dagegen ist sie bestimmten Organen der Gemeinde, in Städten
dem Bürgermeister (Preußen mit Ausnahme der Provinz Hannover, Baden, Hessen) oder dem
Magistrate (rechtsrheinisches Bayern, Kgr. Sachsen, Provinz Hannover), in den Landgemeinden
dem Gemeindevorsteher mit der Maßgabe überwiesen, daß diese sie als eine grundsätzlich vom
Staate selbst wahrzunehmende Funktion, als Organe des Staates zu verwalten haben. Nur in
einzelnen größeren Städten, in denen die Regierung auf Grund gesetzlicher Ermächtigungen
(wie sie ihr besonders in Preußen lvgl. oben § 10 III a. E.], Baden, Hessen, Sachsen er-
teilt sind) die Polizeiverwaltung einer besonderen Staatsbehörde übertragen hat, und allgemein
auf dem flachen Lande in Altpreußen, Schleswig-Holstein und Hannover, wo die Ortspolizei
durch Amtsvorsteher bzw. durch die Landräte gehandhabt wird (oben § 10 IIlh), fehlt auch
diese organische Verbindung der Ortspolizei= mit der Gemeindeverwaltung.
Gerichtsbarkeit in weiterem Umfange üben die Gemeinden nur noch in Württem-
berg und Baden aus, wo die im GV. F14, 3 zugelassenen Gemeindegerichte eingerichtet sind.
Wo sich sonst noch sog. Feldgerichte oder Dorfgerichte erhalten haben (Nassau, östl. Provinzen),
haben diese lediglich unbedeutende, der freiwilligen Gerichtsbarkeit angehörige Kompetenzen.
Zu einer weiteren Beteiligung der Gemeinden an der Rechtspflege hat allerdings wieder die
Reichsgesetzgebung über Gewerbe- und Kaufmannsgerichte geführt; auch die auf Grund dieser
errichteten Sondergerichte sind Gemeindeinstitute (RG. v. 29. 7. 1890. u. 6. 7. 1904 F 1).
Rechtsetzend endlich können die Gemeinden nur tätig werden durch Ausübung der ihnen
eingeräumten Autonomie. Sie sind überall berechtigt, im Rahmen der Staatsgesetzgebung
ihre Verfassung und Einrichtungen durch statutarische Vorschriften näher zu bestimmen. Solche
Ortsstatuten sind von dem Gemeindevorstande und der Gemeindevertretung zu beschließen;
sie bedürfen der staatlichen Bestätigung und sind in ortsüblicher Weise zu publizieren.
§ 17. Die selbständigen Gutsbezirke und die Verbindungen von Gemeinden
und Gutsbezirken.
I. Selbständige Gutsbezirke: sind räumlich abgegrenzte Gebiete des platten
Landes, deren Grund und Boden und deren Bewohner nicht durch einen Gemeindeverband
zusammengehalten werden, sondern der obrigkeitlichen Gewalt des Besitzers des Gutes (Guts-
herrn) unterstellt sind. Sie sind den Landgemeinden gleichgeordnete unterste Bezirke für die
örtliche Verwaltung. Besonders zahlreich sind sie in Ost= und Norddeutschland (östliche Provinzen,
Schleswig-Holstein, Kgr. Sachsen), sie werden seltener westlich der Elbe (Westfalen, Hannover,
Reg.-Bez. Kassel) und fehlen ganz auf dem linken Rheinufer, in Nassau, Hessen und den Südstaaten.
Ihrer Entstehung nach sind die heute vorhandenen Gutsbezirke teils alte Rittergüter, deren
öffentlich rechtliche Stellung sich historisch entwickelt hat, teils Schöpfungen des modernen Staates,
der sie durch Verwaltungsakt vom Gemeindeverbande eximiert hat. Neue Gutsbezirke können
nur durch staatliche Anordnung gebildet werden, wie auch bestehende nur durch solche aufgelöst
werden können. Der Gutsbezirk ist lediglich Bezirk für die Verwaltung, er ist kein Verband, hat
(im Gegensatz zur Gemeinde) weder Vermögen noch Mitglieder. Der Gemeindeverband wird
für den Gutsbezirk durch den Besitzer des Gutes ersetzt. Dieser ist dem Staate gegenüber für den
1 Spezialliteratur: St. Genzmer, Entstehung und Rechtsverhältnisse der Guts-
bezirke in den 7 östl. Prov. des Preußischen Staates, Berlin 1891: H. L. Hofmann, Die
Rittergüter im Königreich Sachsen, Dresden 1901; Art. „Gutsbezirke“ in v. Stengel-Fleisch-
manns Wörterb. 2.