Deutsches Verwaltungsrecht. 251
8§ 18. 3. Die höheren Kommunalverbände.
Literatur: Loening ## 41—45, 47; Meyer-Anschütz ### 115—118. Speziell
für Preußen: Schoen, Recht der Kommunalverbände, 361 ff.; für Bayern: v. Seydel,
StR. ##169 ff.; für die übrigen Staaten die betreffende Bearbeitung ihres StR. in
„Das öffentliche Recht der Gegenwart“" s. oben S. 230.
I. Die geschichtliche Entwickelung. Die höheren Kommunalverbände haben
eine längere Geschichte nur in Preußen und Württemberg hinter sich. 1. In Brandenburg geht
die Ausgestaltung der Kreiskorporationen ins 16. Jahrhundert zurück loben S. 223), und die
Entwickelung der heutigen Provinzialgemeinden knüpft an die alten Stände der einzelnen Ge-
biete an, die, seit der Große Kurfürst ihnen das Steuerbewilligungsrecht entrungen hatte, zwar
ihre alte politische Machtstellung verloren hatten, aber sich doch in vielen Gebieten am Leben
erhielten und in weiteren Bezirken dieselben gemeinsamen Angelegenheiten verwalteten wie
die Kreise (loben S. 223). Eine größere Bedeutung als Selbstverwaltungskörper hatten aller-
dings weder die Kreiskorporationen noch die sog. Provinzialstände; ihre Kompetenzen waren
nur wenige und untergeordnete, sie auszudehnen fehlte die Möglichkeit, da sie kein Besteuerungs-
recht und auch keine Organe für eine umfänglichere Verwaltung besaßen. Den ersten Anstoß
zur Weiterbildung dieser Verhältnisse gab die königliche Verheißung der Einführung einer Landes-
repräsentation, die aus den Provinzialständen hervorgehen sollte (V. v. 22.5.1815). Die Realisierung
dieser Verheißung setzte eine möglichst einheitliche Reorganisation, für manche Landesteile eine
Neuanordnung der Provinzialstände voraus, und so ergingen auf Grund eines diese anordnenden
Gesetzes v. 5. 6. 1823 am 1. 7. 1823 und 27. 3. 1824 acht Provinzialordnungen für die damaligen
acht Provinzen. Gleichzeitig wurde eine Reorganisation der Kreisstände in Angriff genommen
und in den Jahren 1825—1828 in acht Kreisordnungen durchgeführt. Die Bedeutung der neuen
Provinzialordnungen war wesentlich die, daß sie die Organisation und Zuständigkeiten der
Provinzialstände übersichtlich bestimmten; prinzipielle Neuerungen brachten sie nicht. Die
Provinziallandtage sollten nach der altständischen Gliederung der Bevölkerung (Grundadel,
Städte, Bauern) zusammengesetzt bleiben, ihre kommunalen Kompetenzen blieben auf wenige
gesetzlich fixierte Aufgaben beschränkt, alle ihre Beschlüsse bedurften königlicher Genehmigung,
die eigentliche Verwaltung der Provinzialanstalten, über die sie zu beschließen hatten, war vom
Oberpräsidenten zu führen. Auch die Kreisordnungen hoben nicht die Kreiskorporationen als
Selbstverwaltungskörper; die ihnen zugewiesenen Befugnisse blieben sehr bescheidene; die Zu-
sammensetzung der Kreistage allerdings wurde reformiert: neben den Rittergutsbesitzern er-
hielten die Städte und die Landgemeinden die Kreisstandschaft; allein der Großgrundbesitz
behielt infolge des Virilstimmrechtes aller Rittergutsbesitzer ein solches Schwergewicht, daß er
jeden entscheidenden Einfluß der anderen Stände zurückdrängte. Kein Wunder, daß diese auf
längst überlebten Prinzipien beruhenden Kreis- und Provinzialordnungen von den Stürmen
des Jahres 1848 erfaßt wurden. Allein die unter ihnen entstandene Kreis-, Bezirks- und
Provinzialordnung, welche am 11. 3. 1850 für den ganzen Staat erlassen wurde und eine radikale
Umgestaltung der Kreis= und Provinzialverfassung auf kapitalistischer Grundlage bezweckte,
wurde mitten in ihrer Ausführung sistiert und durch Gesetz v. 24. 5. 1853 wieder aufgehoben.
Die Ordnungen der 20 er Jahre traten wieder in Kraft und haben dann gegolten bis zum In-
krafttreten der heute geltenden Kreisordnung für die östlichen Provinzen außer Posen v. 13. 12.
1872 und der Provinzialordnung für dasselbe Gebiet v. 29. 6. 1875 (siehe oben S. 229). Erst diese
beiden Gesetze haben den Kreisen und Provinzen unter Aufgabe des ständischen Prinzipes eine
den heutigen Verhältnissen entsprechende Vertretung gegeben und sie durch Ausdehnung ihrer
Wirksamkeit und Ausstattung mit geeigneten Verwaltungsorganen (oben S. 229) zu den Städten
ebenbürtigen Selbstverwaltungskörpern ausgestaltet. Der Reorganisation der Kreis= und
Provinzialverbände folgte, um sie finanziell leistungsfähig zu machen, ihre Ausstattung mit
Geldmitteln seitens des Staates; durch Dotationsgesetz v. 30. 4. 1873 wurden den Kreisen und
Provinzen Fonds zur Selbstverwaltung überwiesen, und durch ein weiteres Dotationsgesetz
v. 8. 7. 1875 wurde die Ausstattung der Provinzen unter Zuweisung neuer wichtiger Ver-
waltungsaufgaben an sie beträchtlich erhöht. Diese Dotationsgesetzgebung bezog sich auch auf
die westlichen und die neuen Provinzen; auch für sie wurden Staatsgelder ausgeworfen, um den
in ihnen demnächst neu zu organisierenden Kreis- und Provinzialverbänden Fonds zur Selbst-