Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

268 Paul Schoen. 
Verfügungen, die nicht frei widerruflich sind, können nur aus besonderen Gründen wider- 
rufen werden, nämlich: wenn sie erlassen sind a) unter unrichtiger Anwendung von Gesetzen 
und Verordnungen, b) unter Uberschreitung der Zuständigkeit (soweit nicht Nichtigkeit vorliegt; 
oben 266 5 c) unter Nichtbeobachtung der wesentlichen Vorschriften über das Verfahren, das 
ihnen nach gesetzlicher Bestimmung voranzugehen hat (GewO. §§ 17, 25; vielfach wird hier 
jedoch Nichtigkeit angenommen; s. Kormann, System 272, 278; Fleiner 184 4°), d) infolge 
rechtswidriger Einwirkung des Betroffenen auf den verfügenden Beamten: durch Täuschung, 
Drohung, Bestechung (Bad. V. 843, 2; O. Mayer 1 S. 281, 291, 305 ff.; Kormann, System 354 f.). 
Aus diesen Gründen können auch Feststellungsverfügungen widerrufen werden (Loening 245 2); 
nur die Urteile der Verwaltungsgerichte und einzelne als Formalakte behandelte Verfügungen 
(Enteignungsbeschluß (Pr. Enteign G. § 3321, Naturalisation Inach Ansicht Pr. des O# G.: E. 13, 
408; 27, 410)] u. a., s. Kormann a. a. O. 365 ff.) können auch bei ihrem Vorliegen nicht zurücck- 
gezogen werden. Ein besonderer Widerrufsgrund greift endlich e) gegenüber solchen Verfügungen 
Platz, die für den Betroffenen mit den Rechten gleichzeitig Verpflichtungen zur Entstehung 
bringen, wie besonders die Verleihungen öffentlicher Unternehmungen, Verleihungen von be- 
sonderen Nutzungsrechten an öffentlichen Sachen, Erlaubniserteilungen mit Auflagen. Es ist 
die Nichterfüllung der dem Betroffenen in der Verfügung auferlegten Verpflichtungen. In 
einer Reihe von Spezialgesetzen, namentlich in der Eisenbahn- und Wegegesetzgebung, ist dieser 
Widerrufsgrund ausdrücklich anerkannt, und mit Recht ist ihm in der neuen Literatur eine all- 
gemeine Bedeutung beigelegt (O. Mayer 2 S. 161, 316; Kormann, System 403 ff.). Seine An- 
erkennung ist lediglich eine Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, daß, wo eine Rechts- 
beziehung zwischen zwei Personen beiden Ansprüche gewährt und Pflichten auferlegt, jede von 
ihnen zum Rücktritt berechtigt ist, wenn die andere ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. 
Daraus, daß die Verfügungen im allgemeinen nicht materiell rechtskräftig werden, folgt, 
daß die Verwaltungsbehörde sich auf sie nicht wie auf eine rechtskräftige Entscheidung der Sache 
berufen kann. Ist jemand mit einem Gesuche um Verleihung eines öffentlichen Unternehmens 
oder um Erteilung einer Erlaubnis durch Verfügung abgewiesen, so kann die Behörde, wenn 
er dieses Gesuch erneuert, ihn nicht einfach unter Verweisung auf die frühere Entscheidung 
abweisen, sondern sie muß das Gesuch materiell neu prüfen (Pr. OVG. 5, 291; Bay. VGH. 
11, 262 u. 12, 72). 
§ 23. Der Verwaltungszwang. 
Literatur: Loening 5 55; Meyer--Dochow 5W17; O. Mayer § 23, 24, 25, 
32; Anschütz, Das Recht des V. in Preußen, Verwürch. 1, 389 ff.; Thoma, Polizeibefehl 
1 S. 23, 89 ff., 302 ff.; Kormann, Grundzüge s 36, 33. Ann. d. Deutsch. Reichs 1912 213 ff., 
195 ff. — bes. über die Exekutivstrafe: eukamp, Die pol. Verfügungen 7 Verhütung strafb. 
Handlungen, Verwürch. 3, 1 ff.; Hofacker, Verhältnis der Exekutiv= zu den Kriminalstrafen, 
das. 14, 447 ff.; Isaac, Zwangsstrafrecht und Zwangsverfahren, i. d. Ztschr. für d. ges. Straf- 
rechtswissenschaft 21, 625 ff. 
I. Die Zwecke, welche der Staat mit dem Erlasse von Gesetzen, Verordnungen und Ver- 
fügungen befolgt, werden nicht schon mit der Abgabe dieser Willenserklärungen, sondern erst 
mit ihrer Ausführung erreicht, die entweder lediglich eine Tätigkeit der Behörden oder auch 
ein bestimmtes Verhalten der Untertanen erfordert. Der Sicherung der Ausführung des Staats- 
willens durch die Behörden dient vor allem das Aufsichtsrecht und die Disziplinargewalt der 
vorgesetzten Instanzen, der Sicherung des erforderlichen Verhaltens aller Gewaltunterworfenen 
dient der Zwang, den der Staat vermöge seiner Herrschermacht ausüben kann. Hier interessiert 
nur der letztere. Er wird geübt durch allgemeine Strafandrohungen und durch öffentlich recht- 
liche Zwangsvollstreckung. Indem der Staat in Gesetzen und Verordnungen, die Befehle an 
die Untertanen enthalten, die Nichtbeachtung dieser mit öffentlicher Strafe bedroht, übt er einen 
psychischen Zwang aus auf die, die diese Befehle angehen. Dieser Art des Zwanges bedient sich 
vor allem das (auch in Elsaß-Lothringen geltende) französische Recht, welches den Ungehorsam 
gegen behördliche Anordnungen schlechthin für ein strafbares Delikt erklärt hat (code pén. 471, 15). 
Die deutschen Gesetzgebungen kennen ein solches allgemeines Delikt des Ungehorsams gegen 
Verwaltungsverfügungen nicht. Sowohl die Einzelstaaten wie das Reich haben in ihren Ge- 
setzen und Verordnungen nur Befehle und Verbote bestimmten Inhaltes unter Strafsanktion
	        
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