Deutsches Verwaltungsrecht. 289
Rechtsmitteln der Beschwerde und des Einspruches die Rede; über die Verwaltungsklage und
die Verwaltungsgerichtsbarkeit s. den folgenden Paragraphen, über die Zuständigkeit der Zivil-
gerichte gegen Verwaltungsmaßnahmen unten ## 31.
II. Die Beschwerde. Im täglichen Leben wird Beschwerde vielfach jedes Angehen
einer Behörde genannt, welches die Nachprüfung eines behördlichen Verhaltens verlangt, durch
das jemand sich in seinen Rechten oder Interessen verletzt fühlt. Allein nicht jedes derartige
Angehen einer Behäörde ist eine Beschwerde im technischen Sinne oder gar eine Beschwerde,
die sich als wahres Rechtsschutzmittel darstellt. Eine Beschwerde im technischen Sinne liegt nur
vor, wenn der durch behördliches Verhalten Verletzte sein Gesuch um Abhilfe an eine höhere
Instanz richtet; wendet er sich mit ihm an die Behörde, durch deren Verhalten er sich verletzt
fühlt, selbst, so wird ein solcher Antrag in der Rechtssprache heute gewöhnlich Gegenvor-
stellung (Remonstration) genannt. Zu solcher Gegenvorstellung ist jeder befugt, ohne daß
ihm diese Befugnis gesetzlich zuerkannt zu sein braucht; denn sie anbringen, heißt nur, etwas tun,
was nicht verboten ist. Eine bestimmte Rechtswirkung hat die Gegenvorstellung, abgesehen von
den bestimmten Fällen, in denen sie vom Gesetze als „Einspruch“ ausdrücklich gegeben ist (unten
zu III), nicht. Die Behörde ist berechtigt, auf sie hin ihre Anordnung und ihr Verhalten nach-
zuprüfen und zu ändern; verpflichtet, sich nochmals mit der Sache zu befassen, ist sie aber nicht.
Daher ist die Gegenvorstellung kein wahres Rechtsmittel, dessen Wesen darin besteht, daß es
notwendig zu einer neuen Prüfung der Sache führt. Sie ist nichts weiter als eine Anregung
der Behörde, etwas zu tun, was sie auch von Amts wegen tun könnte. Genau ebenso verhält
es sich mit der gesetzlich nicht besonders vorgesehenen sog. formlosen Beschwerde.
Auch die höhere Instanz kann jeder anrufen und bitten, vermöge ihres Aufsichtsrechtes die An-
ordnung einer unteren Instanz, durch die er sich verletzt fühlt, aufzuheben oder abzuändern;
allein die höhere Instanz ist dem Beschwerdeführer gegenüber nicht verpflichtet, solchem Ansuchen
weitere Folge zu geben.
Anders verhält es sich mit der sog. formellen Beschwerde, um die es sich regel-
mäßig (nicht so z. B. in § 86 d. Bad. V. v. 12. 7. 1864) handelt, wenn in Gesetzen und Ver-
ordnungen von dem Rechte, die Beschwerde oder den Rekurs einzulegen, die Rede ist. Diese ist ein
wahres Rechtsmittel: die Beschwerdeinstanz ist verpflichtet, auf sie hin die Sache von neuem
zu prüfen und den Beschwerdeführer zu bescheiden. Die Befugnis, sie einzulegen, ist ein
subjektives öffentliches Recht des Beschwerdeberechtigten. Sie besteht daher nur da, wo sie
gesetzlich oder sonst durch Rechtssatz anerkannt ist, was allerdings in ganz allgemeiner Form ge-
schehen sein kann (Bad. V. v. 31. 8. 1884 § 28; Württ., Sachs., VerfUrk. § 36). Die formelle
Beschwerde ist das häufigst offengestellte Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte. Mit ihr können
solche sowohl unter der Behauptung angefochten werden, daß sie Rechtsverletzungen ent-
halten, wie, daß sie etwas Unzweckmäßiges anordnen oder das Privatinteresse in weiterem
Umfange schädigen, als das öffentliche Interesse es verlangt. Eine erhebliche Einschränkung hat
ihr Anwendungsgebiet allerdings durch die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erfahren,
indem sie in der Regel da ausgeschlossen ist, wo die Verwaltungsklage zugelassen ist. So aus-
drücklich die preußische und die bayerische Gesetzgebung (Pr. LVG. 850, wichtige Ausnahmen
§§ 127, 128, wonach gegen polizeiliche Verfügungen wahlweise die Beschwerde und die Klage
gegeben ist; Bay. G. v. 8. 8. 1878 Art. 15, 49), während die anderen Gesetzgebungen bei
der Zuweisung der Verwaltungsklage diesen Grundsatz stillschweigend voraussetzen.
Im einzelnen gelten für diese formelle Beschwerde die folgenden Grundsätze: 1. Legi-
timiert zur Erhebung der Beschwerde ist, sofern das Gesetz, welches das Beschwerderecht
begründet, den Beschwerdeberechtigten nicht genauer oder allgemeiner („Jeder, dessen rechtliches
Interesse durch eine Entscheidung beeinträchtigt sein kann“, Bad. V. § 28) bestimmt,
sondern einfach sagt, daß gegen gewisse Verwaltungsakte die Beschwerde stattfindet (Pr.
LVG. 5. 127) — jeder, in dessen Rechtssphäre die anzufechtende Verfügung unmittelbar ein-
gegriffen hat, nicht also nur der, an den die Verfügung gerichtet war (so z. B. auch der Trunken-
bold gegenüber einer polizeilichen Verfügung, die den Wirten seines Aufenthaltsortes verboten hat,
ihm etwas zu verabfolgen: Pr. OVG. E. 1, 327), nicht aber auch jeder beliebige Dritte oder auch
nur jeder, dessen finanzielle Interessen mittelbar durch die Verfügung gefährdet sind (das. 38,
376). 2. Im Gegensatze zur formlosen ist die formelle Beschwerde stets an eine bestimmte
Enzyklopädie der Rechtswifsenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 19