Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

290 Paul Schoen. 
Frist gebunden (Pr. LVG. F 51, 52; Bad. V. F 31); das Recht des Betroffenen, Nach- 
prüfung einer Verwaltungsmaßnahme zu verlangen, muß im Interesse der Verwaltung zeitlich 
begrenzt sein. Mit Ablauf der Beschwerdefrist verliert der Betroffene seinen Anspruch auf Nach- 
prüfung. Dies schließt aber nicht aus, daß die Beschwerdeinstanz sich auch auf eine verspätete 
Beschwerde noch einläßt. Die rechtzeitige Anbringung der Beschwerde hat nach den meisten 
Gesetzen aufschiebende Wirkung; ein Vollzug der angefochtenen Verfügung ist jedoch meist für 
zulässig erklärt, wenn seine Aussetzung nicht ohne Nachteil für das Gemeinwohl stattfinden kann 
(Preußen LVG. F 53, Baden V. 8§ 33). 3. Durch die Einlegung der Beschwerde wird die 
Sache zur Entscheidung an eine höhere Instanz gebracht. Als Beschwerdeinstanz fun- 
giert regelmäßig die Aufsichtsbehörde; es kann jedoch auch eine von dieser verschiedene Beschwerde- 
behörde geschaffen sein (Pr. EinkSt G. §§ 40—43). Gegen die Entscheidung der Beschwerde- 
instanz ist regelmäßig eine übermalige Beschwerde an eine dieser übergeordneten Stelle 
gegeben und so ein Instanzenzug für Beschwerden geschaffen. 4. Die Beschwerdeinstanz hat 
die angefochtene Verfügung in rechtlicher wie tatsächlicher Beziehung nachzuprüfen. Sie kann 
neue Ermittlungen anstellen und Beweise erheben. Über ihre Entschließung hat sie dem Beschwerde- 
führer einen Bescheid zu erteilen, der mit Gründen zu versehen ist (VerfUrk. Württ. § 37, 
Sachsen § 36). Der Bescheid kann lauten a) auf Zurückweisung der Beschwerde. Dann besteht 
die angefochtene Verfügung einfach fort als Verfügung der unteren Behörde, die sie erlassen hat. 
Diese hat also auch die freie Disposition über sie: sie kann sie vollziehen wie auch sie zurücknehmen; 
) schlechthin auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Dann ist diese beseitigt, sie kann 
nicht mehr vollzogen werden. Wohl aber kann die Behörde, von der sie erlassen ist, bei Anderung 
der Sach= oder Rechtslage eine neue Verfügung desselben Inhaltes erlassen, denn die auf- 
gehobene ist von der Beschwerdeinstanz nur unter Voraussetzung der zur Zeit ihres Erlasses 
vorhandenen Sach= und Rechtslage für unzulässig erklärt worden; y) auf Abänderung der an- 
gefochtenen Verfügung. Dann tritt an die Stelle der Anordnung der Unterbehörde die An- 
ordnung der Beschwerdeinstanz. Die Unterbehörde steht nicht mehr einer eigenen, sondern 
einer Verfügung der vorgesetzten Behörde gegenüber; sie hat daher keine Disposition über diese, 
sondern schlechthin für ihre Vollziehung zu sorgen. Für die Frage, ob die Beschwerdeinstanz 
die angefochtene Verfügung auch zuungunsten des Beschwerdeführers abändem kann, kommt 
es darauf an, ob als Beschwerdeinstanz die Aufsichtsbehörde oder eine andere Behörde fungiert. 
Ist jenes der Fall, so ist eine reformatio in pejus zulässig, indem die Aufsichtsbehörde die an- 
gefochtene Verfügung auch von Amts wegen im öffentlichen Interesse zuungunsten des 
Beschwerdeführers abändern könnte. Ist dagegen die Beschwerdebehörde von der Aussichts- 
behörde verschieden, und kann sie nur auf erhobene Beschwerde eingreifen, so darf sie eine 
reformatio in pejus nicht vornehmen. Die Beschwerde ist dem, dem sie zusteht, nur als ein Mittel 
gegeben, seine rechtliche Lage zu verbessern; eine Behörde, die nur über die Beschwerde zu ent- 
scheiden hat, und der diese nicht gleichzeitig ein Anstoß zur Entwickelung anderweit begründeter 
aufsichtlicher Maßnahmen sein kann, kann daher die Rechtslage des Beschwerdeführers nicht 
verschlechtern, sofern das Gesetz sie nicht ausdrücklich dazu ermächtigt. Demgemäß hält das Pr. 
OVG. eine rekormatio in pejus bei „Berufung“ in Steuersachen für unzulässig (Entsch. i. Steuers. 
4, 373, 7, 377; Jacobi, Verwrch. 5, 384; Fleiner 214 23). 5. Ein durchaus für sich dastehender 
Fall der formellen Beschwerde ist die Beschwerde aus „Gründen des öffent- 
lichen Interesses“, die im preußischen und badischen Rechte entwickelt und den Vor- 
sitzenden der Beschlußbehörden zur Anfechtung der kollegialischen Beschlüsse dieser gegeben ist. 
Während die Beschwerde sonst lediglich als ein Rechtsschutzmittel der Untertanen gegenüber 
der Verwaltung funktioniert, dient sie hier dazu, im Interesse des Staates die Entscheidung 
einer Behörde zur Nachprüfung vor die höhere Instanz zu bringen. Die Veranlassung zu dieser 
eigenartigen Ausgestaltung der Beschwerde zum Rechtsbehelfe des Staates selbst ist aber ledig- 
lich in der selbständigen Stellung der Beschlußbehörden gegenüber ihren Aussichtsbehörden zu 
suchen, insbesondere in dem Grundsatze, daß die Entscheidungen der Beschlußbehörden im 
Aufsichtswege nur auf erhobene Beschwerde hin abgeändert werden dürfen (oben S. 218 V. b). 
Die Aufhebung der allgemeinen Regel, daß die Aufsichtsbehörden von Amts wegen die Ent- 
scheidungen der ihnen untergeordneten Behörden nachprüfen und abändern können, zugunsten 
der Selbständigkeit der Beschlußbehörden nötigte dazu, einem Staatsorgance ein Beschwerde-
	        
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