Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 293 
In der Literatur hat schon bald nach den Befreiungskriegen, und zwar zunächst in Süd- 
deutschland, der Kampf um solche Schutzeinrichtungen begonnen. Die einen wollten die Ver- 
waltung, soweit sie nach Rechtsnormen zu handeln hatte, einfach der Kontrolle der ordentlichen 
Gerichte unterstellen: diese sollten in Zukunft nicht nur in Privatrechtsstreitigkeiten und Straf- 
sachen, sondern auch in Streitigkeiten zwischen dem einzelnen und dem Staate über die Recht- 
mäßigkeit eines Hoheitsaktes entscheiden; Anfechtungen eines Verwaltungsaktes, die seine Not- 
wendigkeit und Zweckmäßigkeit bemängelten, sollten dagegen wie bisher im Beschwerdeverfahren 
von den Verwaltungsbehörden erledigt werden. Eine andere Richtung dagegen verlangte, 
daß besondere Verwaltungsbehörden errichtet und beauftragt würden, in bestimmtem Verfahren 
Beschwerden über Verletzungen subjektiver Rechte durch die Verwaltung zu entscheiden. Sie 
war beeinflußt durch die neuen französischen Einrichtungen und hatte in Deutschland einen frühen 
praktischen Erfolg in Württemberg, wo zunächst durchaus nach französischem Vorbilde ein zen- 
trales Verwaltungsgericht geschaffen wurde, aus dem dann gelegentlich der Verfassungs- 
gesetzgebung in veränderter Gestalt der Geheime Rat als Verwaltungsgerichtshof hervorging 
(Verfürk. 1819 § 60; vgl. Wintterlin loben S. 220) 2, 159; v. Sarwey 257; Göz 30— Haupt- 
vertreter dieser Richtung der württ. Jurist Pfizer, Uber Grenzen zw. Verw.= u. Ziviljustiz 1828). 
Die erste Richtung konnte sich für ihre praktische Durchführbarkeit auf die Verhältnisse in Kur- 
hessen berufen, wo, anders als in den übrigen Territorien, die Rechtsschutzgewährung gegen 
unberechtigte Eingriffe der Regierung, die ehedem den Reichsgerichten zugestanden hatte, auf 
das oberste Gericht des Landes übergegangen war und von diesem in umfassender Weise geübt 
wurde (Loening 7793, Meyer-Anschütz 66225). Sie fand Anerkennung in der Frankfurter Reichs- 
verfassung (§ 182: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen ent- 
scheiden die Gerichte") und gelangte dann, seit den Bewegungen des Jahres 1848 die Richtung 
des Liberalismus geworden, auch zu allgemeiner Verwirklichung in Hannover, Mecklenburg 
und den Hansestädten, während die übrigen Staaten ihr höchstens in Einzelgesetzen folgten 
(Pr. G. betr. Erweiterung des Rechtsweges v. 24. 5. 1861; Loening, Verwürch. 3, 534). In 
der Theorie war und blieb diese Richtung die herrschende bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts, 
da sie in Otto Bähr, einem der gelehrtesten Richter Deutschlands, ihren hervorragendsten 
theoretischen Verterter fand („Der Rechtsstaat“ 1864). Um diese Zeit war ihr aber bereits in 
Gneist der Gegner erstanden, dessen Ideen allein die Zukunft gehören sollte. Gneist teilte 
den Grundgedanken der anderen der beiden vorerwähnten Richtungen, daß die Rechtskontrolle 
über die Verwaltung nur wieder Verwaltungsbehörden übertragen werden könne (so schon: 
Englisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht (1) 2, 1860 S. 887 ff.). Er hat dann der Durch- 
führung dieses Gedankens im einzelnen jedoch durchaus neue Wege gewiesen und durch seine 
zahlreichen Schriften (bes.: Verwaltung, Justiz, Rechtsweg 1869, Pr. Kreisordnung 1870, Der 
Rechtsstaat 1872, (2) 1879) ihm erst die allgemeine Anerkennung errungen. Er wandte sich gegen 
die hergebrachte Auffassung, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur ein Mittel sei, verletzte 
subjektive Rechte der Untertanen zu schützen (Pfizer 8, 30, 107; s. auch O. Mayer 1, 163°6). Er 
nahm für sie die umfassende Aufgabe in Anspruch, allen Verletzungen der objektiven Rechts- 
ordnung entgegenzutreten (Rechtsstaat 266, 270 f.), und zog aus dieser Wesensverschiedenheit 
der Zivil- und Verwaltungsrechtspflege die Konsequenz, daß man diese nicht einfach auf den 
Leisten des Zivilprozesses bringen dürfe (das. 274; Verw., Just., Rechtsw., 140). Als Träger der 
Rechtskontrolle über die Verwaltung wollte er kollegialische Verwaltungsbehörden in richterlicher 
Unabhängigkeit bestellt wissen, die öffentlich und kontradiktorisch verhandeln sollten. Diese Ver- 
waltungsgerichte sollten regulär erweiterte Formationen der mit der laufenden Verwaltung 
betrauten Behörden sein, der oberste Verwaltungsgerichtshof jedoch sollte unbedingt getrennt 
sein von der laufenden Ministerverwaltung. Endlich wollte er auch das Laienelement an der 
Verwaltungsrechtspflege beteiligt wissen; die Erwägungen, die ihm überhaupt seine Beteiligung 
an der Verwaltung wünschenswert erscheinen ließen (oben S. 201), wie auch das Beispiel der 
Schöffen= und Geschworenengerichte, die sich einer besonderen Volkstümlichkeit erfreuten, führten 
ihn zu der Forderung: Verbindung von Laien und Berufsbeamten in den unteren Instanzen 
der Verwaltungsgerichte. Diese Ideen Gneists sind in der Folgezeit in Deutschland überall, 
wo man eine praktische Lösung des Problemes der Verwaltungsgerichtsbarkeit unternommen hat, 
hier in weiterem, dort in geringerem Umfange verwirklicht worden. Die Gründe aber, aus denen
	        
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