Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Verwaltungsrecht. 307 
lichen Urteile sie über den Prozeß hinaus binden, ist völlig unbegründet. Überträgt man 
die für die Rechtskraft der Zivilurteile anerkannten Grundsätze in richtiger Auslegung auf 
die Verwaltungsgerichtsentscheidungen, so kommt man praktisch zu auch vom Standpunkte 
der Verwaltung durchaus annehmbaren Resultaten. Indem die Tatbestände, die den verwal- 
tungsgerichtlichen Urteilen zugrunde liegen, häufig viel beweglicher sind als die, aus denen das 
Zivilurteil die Rechtsfolgen zieht, hat die Rechtskraft zahlreicher verwaltungsgerichtlicher Urteile 
nicht die dauernde Wirkung wie die der meisten Zivilurteile, ja, sie entbehrt häufig überhaupt 
praktischer Bedeutung. Allein dieses Resultat darf doch wieder nicht dazu veranlassen, das 
Prinzip der Rechtskraft bei verwaltungsgerichtlichen Urteilen überhaupt für praktisch wertlos 
zu erklären. Es gibt eine Reihe von Verwaltungsstreitigkeiten, in denen die Rechtskraft des 
sie erledigenden Urteiles ebenso dauernd und umfänglich bindet wie die der zivilrichterlichen 
Entscheidungen. Dahin gehören besonders die Streitigkeiten über Existenz und Umfang der 
Pflicht zur Leistung öffentlicher Abgaben, Wahlstreitigkeiten, Streitigkeiten unter mehreren 
Beteiligten über ihre öffentlichrechtlichen Rechte und Pflichten, wie z. B. darüber, wer von 
ihnen einen Wasserlauf zu räumen, einen öffentlichen Weg zu unterhalten hat (Pr. ZG. 8§ 18, 
342, 478, 56 5), Statusstreitigkeiten (unten S. 308), Ersatzklagen und andere Parteistreitig- 
keiten i. S. der württembergischen und sächsischen Gesetzgebung. 
Die Rechtskraftwirkung der verwaltungsgerichtlichen Urteile ist eben bei der großen sach- 
lichen Verschiedenheit der Verwaltungsstreitsachen ihrem Umfange wie ihrer Dauer nach eine 
sehr verschiedene und läßt sich nicht einheitlich bestimmen. Grundsätzlich ausgeschlossen ist sie 
nirgend, ihre Tragweite muß jedoch von Fall zu Fall, oder doch wenigstens für die einzelnen 
Urteilsgruppen besonders ermittelt werden. Hierbei sind folgende Momente zu beachten: 
In Rechtskraft geht nur der Feststellungsinhalt des Urteiles über. Dies ist zunächst wichtig 
für die Abgrenzung der Rechtskraftwirkung der in Verwaltungsprozessen viel häufiger als in 
Zivilprozessen vorkommenden Gestaltungsurteile. Von ihrem Inhalte wird nur rechtskräftig 
die Feststellung, daß dem Kläger die beantragte Rechtsänderung zu gewähren war, nicht aber 
der Ausspruch der Rechtsänderung. Dieser gibt für Rechtskraftwirkung überhaupt keinen Raum; 
er wirkt wie jeder andere rechtsgestaltende Staatsakt und daher auch nicht nur gegenüber den 
Parteien, sondern für und gegen alle. Wird also z. B. jemandem auf seine Klage hin eine 
gewerbepolizeiliche Erlaubnis erteilt, so wird die Erlaubniserteilung nicht rechtskräftig, ihr 
Rechtsbestand ist durch die Urteilsgrundlage nicht besonders gesichert, sie kann daher ihrem Inhaber 
unter denselben Voraussetzungen entzogen werden, als wenn sie durch einfachen Verwaltungsakt 
erteilt wäre. Umgekehrt steht ein Urteil auf Erlaubnisentziehung einer neuerlichen Erlaubnis- 
erteilung nicht im Wege. Was nun aber weiter die Rechtskraftwirkung der Feststellung anlangt, 
so ist für die Beurteilung ihrer Tragweite zu beachten, daß die Feststellung nur für die zur Zeit 
der Urteilsfällung gegebene Sachlage gelten und daher nur in Beziehung auf sie, d. h. rebus 
sio stantibus binden kann. Treten in den tatsächlichen Verhältnissen, deren Rechtsfolgen das 
Urteil ausgesprochen hat, Veränderungen ein, was, wie gesagt, bei den fluktuierenden Tat- 
beständen, mit denen die Verwaltungsgerichte sich zu beschäftigen haben (z. B. finanzielle 
Leistungsfähigkeit einer Person, Beschaffenheit eines Lokales, örtliches Bedürfnis Gew O. ö#s 32, 
33, 33a), nicht selten der Fall ist, so hat der neuen Sachlage gegenüber die Rechtskraft des 
alten Urteiles keine Bedeutung mehr. Wird z. B. eine polizeiliche Verfügung auf eine aus 7 127 
Pr. LVG. Abs. 3 Ziff. 2 begründete Klage hin aufgehoben, so geht in Rechtskraft nur die Fest- 
stellung über, daß die Polizeibehörde nach den der Urteilsfällung zugrunde liegenden tatsäch- 
lichen Verhältnissen nicht berechtigt war, diese Verfügung zu erlassen. UÜber die Verfügungs- 
befugnis der beklagten Polizeibehörde dem Kläger gegenüber im allgemeinen ist nichts fest- 
gestellt und kann der Verwaltungsrichter nichts feststellen. Das Urteil präkludiert also weitere 
Verfügungen der Behörde überhaupt nicht. Hält sie es demnächst für angezeigt, eine der auf- 
gehobenen gleichlautende Verfügung an den Kläger zu erlassen, weil sie nunmehr die erforder- 
lichen tatsächlichen Voraussetzungen für gegeben erachtet, so steht dieser res judicata nicht ent- 
gegen. Wird die neue Verfügung vom Betroffenen wieder mit der Klage angefochten, so hat 
das Verwaltungsgericht sich in eine neue Sachprüfung einzulassen und festzustellen, ob die 
neue Verfügung durch die gegenwärtige Sachlage begründet ist. Wird ferner z. B. jemand 
durch Urteil mit einem Antrage auf Erteilung der Schankwirtschaftserlaubnis abgewiesen, weil 
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