Erster Abschnitt.
Das Gewerberecht als Teil des Arbeitsrechts.
8 1. Das Gewerberecht ist ein Teil des Arbeitsrechts. Unter Arbeitsrecht verstehen wir
die Gesamtheit der Rechtsnormen, die sich auf die Arbeit beziehen, d. h. auf die Betätigung
der geistigen oder körperlichen Kräfte zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck. Auf der
Arbeit in diesem Sinne beruht nicht nur das sittliche und körperliche Gedeihen des Einzelnen,
sonderm auch die gesamte Entwicklung der Menschheit und die Entstehung der Staaten. Sie
ist für den Volkswirt die Quelle aller Werte und für den Politiker die Quelle aller Macht,
insofern diese nicht auf besonderen, von der Natur geschaffenen oder historisch entwickelten Ver-
hältnissen beruht. Für den Juristen aber, insbesondere in den modernen Staaten, die auf der
Anerkennung der persönlichen Freiheit des einzelnen beruhen, hat die Arbeit noch eine ganz
besondere Bedeutung. Sie, oder genauer: das rechtlich geordnete Arbeitsverhältnis, ist das
einzige Mittel, das die Rechtsordnung denen zur Verfügung stellt, die kein Privatvermögen
besitzen, und denen die Subsistenzmittel nicht von anderen freiwillig zur Verfügung gestellt
werden. Versagt dies Mittel, ist keine Arbeitsmöglichkeit für den Einzelnen da, so gerät er in
Not; versagt es für die Massen, so gerät der Staat in Gefahr, sicherer als durch auswärtige
Angriffe und sicherer als durch die schlimmsten natürlichen Katastrophen. Und zugleich ist die
Arbeit — das rechtlich geordnete Arbeitsverhältnis — auch das einzige Mittel, durch das man
sich heute, nach Abschaffung der Sklaverei, diejenige Verfügung über die Kräfte anderer zu
verschaffen vermag, ohne die kein größerer Betrieb in Gewerbe, Landwirtschaft, Industrie,
Handel usw. möglich wäre. Das Geschäft des Handwerkers, der einen Gesellen hält, und
die Riesenbetriebe der preußischen Staatseisenbahnen und der amerikanischen Trusts sind in
ihrem Bestand bedroht, sowie auch nur auf kürzeste Zeit keine Arbeit — kein rechtlich geordnetes
Arbeitsverhältnis — zu haben ist. Das Arbeitsverhältmis in diesem Sinne ist natürlich etwas
anderes, als das bloße tatsächliche Zusammenarbeiten behufs Erreichung eines gemeinschaft-
lichen Zweckes, das auch bei den kulturlos in Horden zusammen lebenden Menschen vor-
kommen mag. Es gelangte im Recht aber zu seiner überragenden, alle anderen mensch-
lichen Einrichtungen an Wichtigkeit übertreffenden Bedeutung erst, seitdem es als Ardbeits-
vertrag zunächst neben das unfreie Arbeitsverhältnis (Sklaverei) trat und dieses allmählich
ersetzte. Der Arbeitsvertrag, durch den der eine Vertragschließende seine Arbeits-
kräfte dem anderen zeitweise zur Verfügung stellt, um das hierfür empfangene Entgelt nach
eigenem Ermessen zu verwenden — nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln,
wie dies fälschlich im sozialdemokratischen Programm gelehrt wird — ist die Grundlage des
modernen Staats; denn nicht der Besitz von Privatvermögen, sondern nur die Möglichkeit des
Eingehens von Arbeitsverträgen schafft die Mittel zur Aufrechterhaltung der persönlichen Frei-
heit des Einzelnen wie des Wohls der Gesamtheit. Freilich kann der Arbeitsvertrag auch zugleich
das Mittel sein, um eben diese persönliche Freiheit des Einzelnen und damit indirekt das Ge-
deihen des Staats aufs schlimmste zu gefährden: wenn nämlich derjenige, der über die Arbeits-
gelegenheit verfügt, stark — „vermögend“ — genug ist, um die Anderen, Schwächeren, weniger
„Vermögenden“ zu ungünstigen, mit dem Genuß der persönlichen Freiheit unvereinbaren
Arbeitsbedingungen zu nötigen. Die Aufgaben des Arbeitsrechts sind durch diese einfache Be-
trachtung gekennzeichnet. Es darf denjenigen nicht behindern, der die Kräfte anderer in erlaubter
Weise für seine Zwecke nutzbar machen will; und es muß dafür sorgen, daß nicht aus jener, mit
dem Arbeitsverhältnis notwendig verbundenen Unterordnung des einen Vertragschließenden