Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Gewerberecht. 323 
der Eisenbahnen, staatliche oder städtische Einwirkung auf die Trambahnunternehmer zur 
Lohnerhöhung, zwecks Abkürzung einer Arbeitseinstellung usw.) als Eingriff in das Streikrecht 
oder als Eingriff in das Recht des Arbeitgebers zur Bestimmung der Arbeitsbedingungen zu be- 
zeichnen. Das ist natürlich falsch; die tatsächliche Möglichkeit, die Macht andere von der Arbeit 
auszuschließen, oder an der Weiterführung eines Unternehmens zu hindern ist kein Recht 
und grenzt, wenn sie zur Erzwingung unberechtigter Forderungen geltend gemacht wird, hart 
an Erpressung. Streik und Aussperrung, — also die gleichzeitige Auflösung vieler Arbeits- 
verträge zum Zweck irgendwelcher Einwirkung auf den früheren Gegenkontrahenten im 
Arbeitsvertrag oder auf unbeteiligte Staatsbürger sind lediglich der Beweis, daß die 
Rechtsordnung kein Hilfsmittel zur Erreichung der angestrebten Ziele bietet. Es sind Kriegs- 
handlungen; der Krieg ist aber kein Recht, sondern die Aufhebung des Rechtszustands. 
Daß unser Recht alle diese Dinge bisher einfach als Naturereignisse betrachtet, gegen die 
ein Schutz so wenig gegeben ist wie gegen ein Unwetter, darf uns nicht wundern. Man 
hat im Mittelalter die immer wieder auftretenden Seuchen und die Teuerung und Hungersnot 
gleichfalls für Gottesschickungen gehalten, gegen die der Mensch ohnmächtig sei. Das künftige 
Arbeitsrecht wird sich nicht mit den wenigen, in unsern Gesetzbüchern befindlichen Vorschriften 
über Kündigungsfristen und über die Befugnisse zu kündigungsloser Auflösung des Arbeits- 
vertrags begnügen; sondern die unzeitige Auflösung des Arbeitsvertrags (s 627 BGB.) 
und die willkürliche Auflösung, d. h. diejenige, die aus Gründen, die mit dem wirtschaftlichen 
Zweck des Arbeitsverhältnisses nichts zu tun haben, in den Bereich der Rechtsordnung ziehen. 
Der Versuch, den „Schutz der Arbeitswilligen"“, d. h. die Möglichkeit des friedlichen Broderwerbes, 
einfach durch Strafandrohungen gegen streikende Arbeiter zu bewirken, während man den 
Arbeitgebern die Macht zur willkürlichen Auflösung des Arbeitsvertrags beläßt, — ist von 
vormherein zur Aussichtslosigkeit verdammt. 1 
8 3. Soll das Arbeitsrecht, dessen gewaltiger Umfang nunmehr dargelegt ist, in das Rechts- 
system eingeordnet werden, so dürfte es, zusammen mit dem Vermögensrecht und dem Personen- 
recht, dem bürgperlichen Recht zugewiesen werden, das dem Staatsrecht (Ver- 
fassungsrecht, Verwaltungsrecht, Prozeßrecht, Strafrecht) und dem Völkerrecht gegenüber 
steht. Dabei ergibt sich aber sofort der Unterschied zwischen allen diesen Rechtsgebieten einer- 
seits und dem Arbeitsrecht anderseits, daß die vom positiven Recht dort erlassenen Vorschriften 
sich fast durchweg auf die Gesamtheit der Staatsbürger, beim Arbeitsrecht aber, wenigstens, 
wie es heute ist, in der Regel nur auf diejenigen beziehen, die Arbeitsverträge gewisser 
Art abschließen. Für den Eigentumserwerb, das Darlehen, die Eheschließung, den Erbvertrag 
gilt dasselbe Recht, wer auch die Vertragschließenden sind; für den Vertrag des Beamten 
mit dem Staat, des Bergmanns mit dem Bergwerkseigentümer, der Köchin mit der Haus- 
frau, des Gesellen mit dem Handwerker, des Schiffmanns mit dem Schiffer gelten die ver- 
schiedensten Sondergesetze, die gelegentlich wieder für einzelne Seiten des Vertragsverhältnisses 
durch andere, wieder für einzelne oder mehrere Arbeitekategorien gültigen Reichs- oder Landes- 
gesetze oder durch sonstige Rechtsnormen ergänzt, eingeschränkt, erweitert oder aufgehoben 
werden (Reichsversicherungsordnung, Lohnbeschlagnahmegesetz, die partikularen Beamten- 
gesetze, Dienst-, Arbeitsordnungen usw.). Ein einheitliches Arbeitsrecht existiert zurzeit über- 
haupt nicht; sogar das BG. enthält nur einige wenige, willkürlich ausgewählte Rechts- 
sätze über einige Arten von Arbeitsverträgen. Will man wenigstens zu einer gewissen Ubersicht 
über das Chaos gelangen, so muß man versuchen, die gesamte Arbeit, die vertraglich geleistet 
wird, in große Massen zu zerlegen. Man kann vielleicht sagen, daß sie entwederverwaltende 
oder gestaltende oder pflegende t(erhaltende) ist. Zur ersten Art gehört die Arbeit 
der Beamten in Staat, Gemeinde und in allen Körperschaften der Selbstverwaltung, ferner 
im weiteren Sinne auch der Handel, durch den ja die örtliche Verteilung der wirtschaftlichen 
Güter geregelt wird. Zur pflegendern t(erhaltenden) Arbeit gehört die der Arzte, Pfleger, 
Lehrer usw.; zur gestaltenden endlich gehört die Rohproduktion, die vorhandene Dinge 
1 Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig (§ 138 BGB.). Es 
ist aber interessant, daß das BG. als Beispiel eines solchen unsittlichen, und deshalb nichtigen 
Rechtsgeschäfts nur den wucherischen, und nicht auch den erpresserischen Arbeitsvertrag nennt. 
21“
	        
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