Gewerberecht. 357
Termin kann der Vorsitzende allein verhandeln und im Parteieneinverständnis eine spruchreife
Sache sofort entscheiden; an den weiteren Terminen müssen die Beisitzer teilnehmen; Zeugen
und Sachverständige werden unbeeidet vernommen und haben nur auf Verlangen einer Partei
den Nacheid zu leisten. Die Berufung gegen kontradiktorische Endurteile ist nur zulässig, wenn
deren Streitgegenstand 100 Mark übersteigt. Sie geht ans Landgericht.
Die praktische Bedeutung der Gewerbegerichte liegt aber vor allem in der um-
fassenden Vergleichspraxis in den Prozessen und in der Betätigung zur Schlichtung von
Lohnstreitigkeiten und Lohnkämpfen aller Art. In der Praxis der deutschen Gewerbe-
gerichte finden etwa die Hälfte aller Streitsachen ihre Erledigung in gütlicher Weise. Es ist ja
von Gesetzes wegen dem Gericht der Sühneversuch zur Pflicht gemacht und er wird dadurch noch
besonders gefördert, daß im Vergleichsfalle keine Kosten erhoben werden. Außer der Spruch-
tätigkeit hat das Gewerbegericht bei Arbeitskämpfen aller Art als Einigungsamt zu sungieren,
indem es eine gütliche Beilegung in einer Verhandlung versucht, zu welcher Vertreter beider
Streitteile, nicht aber unmittelbar Beteiligte, als Vertrauensmänner hinzugezogen werden.
Das Amt fällt, wenn eine Einigung nicht gelingt, einen Schiedsspruch, welcher veröffentlicht
wird, und über dessen Annahme sich die Parteien innerhalb bestimmter Frist zu erklären haben.
Statt der Einigungsämter, die immerhin an mancherlei Formen gebunden sind, pflegen viel-
fach die Gewerbegerichtsvorsitzenden allein die Lohnstreitigkeiten zu einem gütlichen Ausgleich
zu bringen, und zwar auch in Streitsachen, die sich weit über den örtlichen Bereich des Gerichts
erstrecken. Ferner sehen die Tarifgemeinschaften in ihren Verträgen oft die Mitwirkung eines
oder mehrerer Gewerbegerichtsvorsitzenden in den Tarifämtern vor, auch tritt bei umfassenden
Lohnkämpfen ein Kollegium von Unparteiischen in Aktion.
Eine weitere Tätigkeit der Gewerbegerichte erstreckt sich darauf, daß sie in gewerblichen
Fragen Anträge an Behörden und gesetzgebende Körperschaften richten können, und auch ver-
pflichtet sind, Gutachten über solche Fragen zu erstatten. In diesen Fällen tritt der Vor-
sitzende mit allen Beisitzern in der Plenarversammlung zusammen. Anträge können allerdings
auch von einem Ausschuß gestellt werden, welcher gleichzeitig zur Vorbereitung von Gutachten
dienen kann.
Soweit Gewerbegerichte bestehen, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte aus-
beschlossen und kann auch durch Vereinbarung nicht begründet werden. Die auf Vereinbarung
beruhenden Schiedsgerichte schließen aber die Zuständigkeit des Gewerbegerichtes meist nicht
aus, weil nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung ein bestimmtes Rechtsverhältnis,
d. h. ein individuelles, von dem Schiedsvertrag erfaßt werden muß. Gleichwohl haben besonders
die Schiedsgerichte, welche von Tarifgemeinschaften errichtet zu werden pflegen, eine große
Bedeutung, indem die Angehörigen der Tarifgemeinschaft zu ihrer Anrufung verpflichtet
werden, und im Falle der Nichtunterwerfung unter ihre Sprüche die Ausschließung aus der
Tarifgemeinschaft zu gewärtigen haben.
Ausgeschlossen ist die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für Streitigkeiten zwischen
Arbeitgebern, die Innungsmitglieder sind und ihren Lehrlingen. Hier ist die Innung
zuständig durch den Vorstand oder den Ausschuß für das Lehrlingswesen. Die schriftlich ab-
zufassende Entscheidung erlangt Rechtskraft, wenn nicht innerhalb eines Monats Klage beim
ordentlichen Gericht erhoben wird. Auch bei Klagen von und gegen Gesellen, Gehilfen usw.
ist das Gewerbegericht ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber Mitglied einer Innung ist, für
welche ein Innungsschiedsgericht errichtet wurde. Auch hier gilt hinsichtlich der Entscheidung
das gleiche wie bei der Innung, nur ist der Kläger, wenn nicht innerhalb acht Tagen der
erste Termin stattfindet, berechtigt zu verlangen, daß der Rechtsstreit an das Gewerbegericht
übergeht.
Ist kein Gewerbegericht vorhanden, so kann bei Streitigkeiten über Antritt, Fortsetzung
und Auflösung des Arbeitsverhältnisses, und über Aushändigung und Inhalt von Zeugnissen
die Entscheidung des Gemeindevorstehers angerufen werden, die rechtskräftig wird, wenn sie
nicht innerhalb 10 Tagen durch Klage beim ordentlichen Gericht angefochten wird.
Im Handelsgewerbe erfolgt die Durchführung von Streitigkeiten zwischen Prinzipalen
und Handlungsgehilfen und -lehrlingen durch die Kaufmannsgerichte, welche genau nach dem
Vorbild der Gewerbegerichte durch das Kaufmannzsgerichtsgesetz vom 6. Juli 1904 geschaffen