Recht des deutschen Verkehrswesens (Verkehrsrecht). 377
§ 12. Vorbemerkung.
Im Eisenbahnrecht hat sich neuerdings mit dem Worte „Verkehr“ ein ganz bestimmter
Begriff verbunden. Man versteht unter Eisenbahnverkehr die Gesamtheit derjenigen
Vorrichtungen im Beförderungswesen, deren Zweck darauf gerichtet ist, „die Benutzung
Transportgelegenheit zur Beförderung von Personen, Gütern usw. zu vermitteln“ im Gegensatz
zum Eisenbahnbetriebe, als dessen Aufgabe man ansieht „die betriebssichere Unter-
haltung der Bahnanlage und der Betriebsmittel und die sichere und ordnungsmäßige Durch-
führung der Züge' 1. Diese Unterscheidung zwischen Betrieb und Verkehr findet sich insbesondere
im reichsdeutschen und im preußischen Rechts. Die österreichische Praxis kennt sie ebenfalls,
verbindet aber mit beiden Worten gerade die entgegengesetzten Begriffe.
In der vorliegenden Darstellung des „Verkehrsrechts“, in welcher das Recht der Eisenbahnen
nur eine Teilgruppe aller jener Vorschriften bildet, deren Zweck es ist, das Beförderungswesen
zu regeln, kann eine Beschränkung auf das Recht des „Verkehrs“ im obenerwähnten Sinne des
deutschen Eisenbahnrechts nicht stattfinden; es müssen vielmehr auch die anderen, und zwar nicht
nur noch die betrieblichen und polizeilichen, sondern auch alle jene Vorschriften herangezogen
werden, die die Herstellung und Unterhaltung der Betriebsmittel und der Wege zum Gegenstande
haben, und in diesem Rahmen wird dem eigentlichen „Eisenbahnverkehrsrecht" nur ein angemessener
Raum vorbehalten bleiben können. Die Darstellung' muß es sich also zur Aufgabe machen, einen.
gedrängten erblick über das ganze Eisenbahnrecht, das ja als solches ein Zweig des Verkehrs-
rechts in dem zu Anfang entwickelten Sinne ist, zu geben.
§13. Begriff der Eisenbahn.
Im weitesten Sinne hat man unter Eisenbahn einen Schienenweg zu verstehen, auf
dem Güter oder Personen befördert werden.
Im Rechtssinne versteht man darunter je nach dem Gesetz, das in Frage kommt, etwas
Verschiedenes. Eine Legaldefinition fehlt, die positiv ausspräche, was eine „Eisenbahn“ ist.
Man hat eben verschiedene Arten von Eisenbahnen zu unterscheiden.
Das Hauptunterscheidungsmerkmal, das namentlich auch für die vorliegende Darstellung
des Verkehrsrechts grundlegend ist, liegt in der verschiedenen wirtschaftlichen Bedeutung, nämlich
in der Stellung der einzelnen Bahn zum öffentlichen Verkehr. Je nachdem die Bahnen mehr
dem großen Verkehre dienen oder örtliche Verkehrsbeziehungen befriedigen oder anderer-
seits nur für die Zwecke einzelner Personen oder Personenkreise bestimmt sind, pflegt man zu
unterscheiden:
1. die Eisenbahnen im engeren Sinne, die dem allgemeinen öffentlichen Verkehr dienen,
und deren Wirkungskreis über örtliche Interessen hinausgeht,
2. die Kleinbahnen, die dem allgemeinen öffentlichen Verkehr dienen, aber nur ört-
liche Bedeutung haben,
3. die nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Schienenbahnen (Privatanschlußbahnen
und ähnliche).
Die Gruppe 3 scheidet hier, wie früher die Gruppe der Privatwege, von der Behand-
lung aus. Die Eisenbahnen im engeren Sinne werden nun nach ihrer Bedeutung für den
Verkehr wiederum eingeteilt in Haupt= (Voll-Bahnen und Neben- (Sekundär-,Bahnen;
letztere hießen früher Bahnen von untergeordneter Bedeutung. (Die Einteilung in Normal-
und Schmalspurbahnen hat für den vorliegenden Zweck keine Bedeutung.)
Je nach dem Eigentümer unterscheidet man Staats- und Privatbahnen.
§ 14. Das Eisenbahnwesen und die Verfassung des Deutschen Reiches.
Zur Zeit der Gründung des Norddeutschen Bundes und seines Rechtsnachfolgers, des
Deutschen Reiches, waren die einzelnen Bundesstaaten im Besitze des Eisenbahnhoheitsrechts,
also des Rechts, Eisenbabnen zu bauen und zu betreiben. und des Rechts der Gesetzgebung und
1 Vgl. hierzu Ausführungsanweisung vom 13. August 1898 # S. 225) zum Gesetz über
Hleinbahnen und und Privatanschlußbahnen vom 28. Juli 1892 (GS. S. 225) zu § 22 (Abs. 3); sowie
rit , S.
UÜber Siese Lrennung herrscht z. B. in Endemanns Eisenbahnrecht noch nicht volle Klarheit;
übrigens hatte die Reichsverfassung -enfalls den jetzigen Sprachgebrauch noch nicht.