Deutsches Staatsrecht. 35
kam, auch der Rheinbund sich lockerte, und daß mit dem Sturz seines Herrn und Protektors
dieser „Bund“, der in Wahrheit kein Bund der deutschen Staaten unier sich, sondern nur ein
Bündel aufgezwungener Protektoratsverhältnisse gewesen war, ohnc Sang und Klang, ohne
formelle Auflösung vom Schauplatz der Geschichte verschwand.
§ 6. 2. Der Deutsche Bund 1.
I. Entstehung. — Der „Deutsche Bund souveräner Fürsten und Freier Städte“ ist das
dauernde verfassungsgeschichtliche Ergebnis des Zusammenwirkens der deutschen Staaten in
dem Befreiungskriege gegen Frankreich. In bewußtem Gegensatz zu der von vielen damals
ersehnten Wiederherstellung des alten Reiches und überhaupt zu jeder staatlichen Einigung
Deutschlands, wie sie insbesondere von der preußischen Regierung 1813—1815 unter der
geistigen Führung des Frhrn. v. Stein gefordert wurde, sprach sich der zwischen der europäischen
Koalition und Frankreich geschlossene (erste) Pariser Friede vom 30. Mai 1814 über die Zukunft
Deutschlands dahin aus: „les Etats de I’Allemagne seront indépendants et réunis par
un lien fédératif“. Hiermit war von vomherein die Gedankenbasis festgelegt, auf
welcher die politische Neugestaltung Deutschlands errichtet werden sollte: die Unterstellung
der fortdauernden Unabhängigkeit, d. h. Souveränetät der deutschen Staaten war gleich-
bedeutend mit der Absicht, in bezug auf Art und Festigkeit des um diese Staaten zu schließen-
den „Leu fédératif“ die Linie rein völkerrechtlicher, vertragsmäßiger Verbindungsweise nicht
überschreiten zu wollen.
Die Ordnung der deutschen Dinge im Sinne der Bestimmung des Pariser Friedens
wurde mit auf die Tagesordnung des im Herbst 1814 eröffneten Wiener Kongresses
gesetzt. Anfangs war beabsichtigt gewesen, die deutsche Verfassungsfrage als allgemeine
„europäische“ Angelegenheit zu behandeln, in welche auch die außerdeutschen Mächte ein-
schließlich des unlängst besiegten Frankreich hincinzureden hatten; es bedurfte erst des Hin-
weises der preußischen Unterhändler auf die Ungehörigkeit solcher Heranziehung des Auslandes
zu der Beratung einer rein nationalen Angelegenhcit, um zu dem Entschlusse zu kommen, die
deutsche Sache einem deutschen Sonderkongresse („deutsches Komitce“: Osterreich, Preußen,
Bayern, Württemberg, Hannover) zu überweisen. Die Verhandlungen sowohl innerhalb dieses
Komitees wie mit der später (Frühjahr 1815) hinzugezogenen Gesamtheit der mittel= und klein-
staatlichen Regierungen gestalteten sich bei den obwaltenden, unausgleichbaren Meinungs-
verschiedenheiten sehr langwierig und kompliziert: auf der einen Seite verlangte Preußen, in
Ubereinstimmung mit den Kleinstaaten, eine dem bundesstaatlichen Typus sich annähernde
Einung der deutschen Staaten, eine Zentralgewalt mit starken Attributionen auf den Gebieten
des Kriegswesens und der Gerichtsbarleit, fermer die Aufnahme von volkstümlichen Grund-
und Freiheitsrechten in die deutsche Bundesverfassung; — Gedanken, denen die durch
Osterreich unterstützten Mittelstaaten mit der Forderung einer tunlichst losen, rein völkerrecht-
lichen, die Souveränelät der Staaten auch nicht von ferne beeinträchtigenden Verbindungs-
weise auf das heftigste widerstrebten. Diese österreichisch-mittelstaatliche Politik behielt schließlich
auf der ganzen Linie die Oberhand: Anfangs Juni 1815 einigte man sich, Preußen unter
Preisgabe seiner bisher vertretenen bundesstaatlichen Idecn, auf einen österreichischen Ent-
wurf (Verfasser: Frhr. v. Wessenberg), der ausgesprochenermaßen den Gedanken des völker-
rechtlichen Staatenbundes in aller Reinheit zum Ausdruck brachte, unausgesprochen
aber die politische Vorherrschaft Osterreichs in Deutschland herstellte, am 8. Juni 1815 als
„Deutsche Bundesakte“ allseits unterzeichnet, und am 9. Juni zu einem integrierenden Bestand-
teil der Wiener Kongreßakte erklärt wurde. (Darin lag eine intemationale Anerkennung des
Bundes, nicht aber eine „Zustimmung“ Europas zur Gründung desselben, aus welcher die zu-
: v. Treitschke, Deutsche Gesch. 1 599 ff., 2; Klüber, Offentliches Recht des
Deutschen Bundes und der Bundesstaaten (4. Aufl. 1840); Zöpfl, Grundsätze des Germ.
Deutsch. Staatsr. (5. Aufl. 1863) 1 270 ff.; Zachariae, Deutsch. Staats= und Bundesrecht
(3. Aufl. 1865, 1867), Bd. 1, 2; Meyer-Anschütz F 38 ff. Das Urkundenmaterial bei
Klüber, Akten des Wiener Kongresses und G. v. Meyer, a. a. O. Bd. 1, 2. Die Bundes-
und Schlußakte auch bei Binding, Staatsgrundgesetze, Heft 3.
:3“