Recht des deutschen Verkehrswesens (Verkehrsrecht). 391
rücksichtigten, durchgeführt, und ihr Ergebnis ist die heute geltende Eisenbahnverkehrsordnung
(EO.) vom 23. Dezember 1908 (Rl. 1909 S. 93), die auch für Bayern eingeführt ist und
mit dem in Osterreich und Ungarn seit dem 1. Januar 1910 geltenden Eisenbahnbetriebsreglement
fast wörtlich übereinstimmt.
9. So gilt denn zur Zeit in Deutschland als Eisenbahnbeförderungsrecht einschließlich des
Personenbeförderungsrechts das deutsche Handelsgesetzbuch und die Eisenbahnverkehrsordnung,
außerdem für Frachtrecht das internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr,
soweit es sich um internationale Frachtverträge mit Staaten handelt, die diesem Staats-
vertrage, der in Deutschland — auch in Bayern — als Reichsgesetz gilt (R# Bl. 1892 S. 793, 1895
S. 465, 1901 S. 295, 1908 S. 515), beigetreten sind gsirzeite Deutschland, Osterreich-Ungarn,
Belgien, Bulgarien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Rußland, Schweiz, Däne-
mark, Rumänien, Schweden, Serbien).
10. Die einzelnen Beförderungsverträge vollziehen Sch aber nicht auf Grund dieser Be-
stimmungen, vielmehr sind ihre unmittelbaren Grundlagen die für den einzelnen Fall in Betracht
kommenden Tarife (E# O. F 6; Ju. Art. 4). Diese Tarife, zu deren Aufstellung die Eisenbahnen
verpflichtet sind, enthalten, da sie über sämtliche für den Beförderungsvertrag maß-
gebenden Bestimmungen Auskunft geben müssen, zunächst die Vorschriften der E# O. oder des
Inl., dazu Ausführungsbestimmungen in den zulässigen Grenzen und endlich die Gebührensätze.
Auch die Gestaltung dieser Tarife ist in Deutschland eine einheitliche, sie lag und liegt in den
Händen von Tarifverbänden, die einheitliche Tarifgrundsätze vereinbart haben. Der bedeutendste
derartige Verband ist der „Tarifverband“ gewesen, dessen Wirksamkeit in die Zeit von 1869—1877
fällt, und dem namentlich die norddeutschen und niederländischen Eisenbahnverwaltungen an-
gehörten. Im Jahre 1877 kam zwischen den deutschen Eisenbahnverwaltungen der sogenannte
deutsche Reformtarif für den Güterverkehr zustande, der eine „formelle Tarifeinheit“ schuf, indem
er gleiche Tarifsätze für die Einreihung der einzelnen Güter in die Klassen eines gemeinsamen
Tarifsystems (Normalgüterklassifikation) aufstellte, ohne dabei aber zunächst eine Übereinstimmung
in den Beförderungspreisen herbeizuführen, eine auch „materielle Tarifeinheit“, die übrigens
auch heute noch eine beschränkte ist und nur bei Entfernungen über 100 km und nicht bei Aus-
nahmetarifen besteht.
11. Die Normalgüterklassifikation von 1877, wie sie die „Generalkonferenz der deutschen
Eisenbahnverwaltungen“ beschlossen, entwickelte sich, ebenso wie die allgemeinen Tarifvorschriften,
was bei dem dauernden Fortschreiten des Wirtschaftslebens nicht anders sein kann, stetig weiter.
Diese Entwicklung war früher für die ganz ähnlich liegenden Verhältnisse die Aufgabe des „Tarif-
verbandes“ gewesen, seit 1877 liegt sie in der Hand der regelmäßig vom preußischen Minister der
öffentlichen Arbeiten einberufenen „Generalkonferenz der deutschen Eisenbahnen“, deren Arbeiten
durch zwei dazu neu geschaffene Einrichtungen, die „ständige Tarifkommission“ und den „Aus-
schuß der Verkehrsinteressenten“ vorbereitet werden. Ihr stehen meist begutachtend Eisenbahn-
beiräte — so in Preußen der Landeseisenbahnrat — zur Seite. Sache der einzelnen Eisenbahn-
verwaltungen ist es, für ihren Bereich die zu den Beschlüssen der Generalkonferenz nötige Zu-
stimmung ihrer Landesregierung einzuholen. Der auf diese Weise geschaffene und dauernd
weitergebildete deutsche Eisenbahn-Gütertarif Teil I enthält in seiner Abteilung A die Verkehrs-
ordnung nebst den allgemeinen Ausführungsbestimmungen, in Abteilung B: A. allgemeine Tarif-
vorschriften nebst Güterklassifikation, B. den Nebengebührentarif.
Die besonderen, für die Gütertarife der einzelnen Eisenbahnverwaltungen gültigen Be-
stimmungen, die sogenannten Binnengütertarife finden sich je in den Teilen II, die jede Ver-
waltung für sich weiterbildet und veröffentlicht.
ie für den eigentlichen Güterverkehr, ist auch für die Beförderung von Leichen, Fahr-
zeugen und lebenden Tieren ein einheitliches Tarisschema vereinbart, das in gleicher Weise wie das
für den Güterverkehr behandelt wird.
Seit dem 1. Mai 1907 endlich gibt es auch ein einheitliches Tarisschema für den Personen=
und Gepäckverkehr für die Staatseisenbahnen in Deutschland.
II. Auf diesen Grundlagen — HBW., E#O., JU. nebst Tarifen, denen sich noch das
allgemeine bürgerliche Recht zugesellt — baut sich nunmehr das Beförderungsrecht etwa in
folgender Weise auf:
a) Allgemeines.
1. Im Gegensatz zu den namentlich dem öffentlichen Recht angehörenden Vorschriften,
die die Verwaltung, den Bau, den Betrieb der Eisenbahnen und die Aufsicht über sie als
Straßen des öffentlichen Verkehrs regeln, sind die Sätze des eigentlichen Verkehrsrechts größten-
teils dem Privatrecht zuzurechnen. Während die Beförderungsgeschäfte der Post und der Tele-
graphenverwaltung dem öffentlichen Rechte unterstellt sind, gehören die der Eisenbahnen ins
bürgerliche, speziell ins Handelsrecht. Das Handelsgesetzbuch beschränkt sich allerdings darauf,
nur die Grundzüge festzustellen. Die Einzelheiten sind in der EV O., dem Il. und den Tarifen