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§ 36. Internationales Luftfahrtsrecht.
Kein Zweig des Verkehrsrechts ist aber so wie das Luftfahrtsrecht auf eine inter-
nationale Regelung angewiesen. Die außerordentliche Beweglichkeit und Schnelligkeit
der Fahrzeuge und die nicht abzuleugnende Abhängigkeit von atmosphärischen Einflüssen, nament-
lich Nebel und Unwetter, führen leicht dazu, daß die Landesgrenzen überflogen werden und auf
fremder Erde gelandet werden muß.
Die hieraus sich ergebenden Komplikationen beschäftigen die Rechtswissenschaft schon
lange. Man fragt sich, ob es ein Staat sich ohne weiteres gefallen lassen muß, daß Angehörige
eines anderen Staates in dem über seinem Staatsgcbiete liegenden Luftraum fliegen. Wieder-
holt haben sich auch von vielen europäischen Staaten beschickte Kongresse mit diesen Problemen
befaßt. Man hat sich aber bisher zu einer allgemeinen Einigung nicht zusammenfinden können.
Weder den Grundsatz vom freien Luftraum, des Pair est libre, den man, dem Satze vom mare
liberum des Grotius folgend, aufstellt, noch den der unbeschränkten Verkehrsfreiheit, die nur
durch die Maßregeln zur eigenen Sicherheit der betreffenden Staaten, beeinflußt wird, hat
man allgemein anerkennen können. Und ehe wir zu einem europäischen oder gar einem
Weltluftfahrtsrecht kommen, wird noch etwas Zeit vergehen, namentlich wenn man an das
starre Verhalten Englands und Rußlands dabei denkt.
Bei dieser Sachlage ist es besonders zu begrüßen, daß das klassische Land der lenkbaren.
Luftschiffahrt, Deutschland, und das des Luftfluges, Frankreich, sich entschlossen haben, einen
modus vivendi einzuführen, der wohl der Ausgangspunkt dieser allgemeinenen Regelung
werden kann. Den letzten Anstoß dazu haben die unfreiwilligen Landungen deutscher Luft-
fahrzeuge in Luneville und Arracourt gegeben.
Es sind zwischen dem Deutschen Reiche und der französischen Republik vom 15. August
1913 bis auf weiteres geltende Bestimmungen vereinbart, nach denen grundsätzlich zwischen
Luftfahrzeugen, die der Militärverwaltung gehören, oder unter deren Insassen sich Militär-
personen in Uniform befinden und Luftfahrzeugen, die weder der Militärverwaltung gehören,
noch Militärpersonen zu ihren Insassen zählen, also kurz Heeresluftfahrzeugen und Privatluft-
fahrzeugen unterschieden wird.
1. Heeresluftfahrzeug e dürfen die Grenze nur auf „Einladung“ der Regierung
des anderen Staates überfliegen oder dort landen. Indes darf den Luftfahrzeugen im Falle
der Not der Aufenthalt auf fremdem Staatsgebiet nicht untersagt werden; jedoch sollen zur
Vermeidung derartiger Fälle den Luftfahrern (Luftschiffern heißt es im Text der deutschen
Veröffentlichung Rel. 1913 S. 602 u. 605) von ihrer Regierung geeignete Weisungen
erteilt werden. Für den Fall, daß ein solches Luftfahrzeug über fremdes Gebiet verschlagen
wird, muß es das Notsignal geben und so bald als möglich landen. Der Führer hat dann die
nächste Zivil- oder Militärbehörde des fremden Staates unmittelbar nach der Landung zu be-
nachrichtigen, und die Militärbehörde muß schleunigst eine Untersuchung vornehmen, die aber
lediglich darauf beschränkt ist, festzustellen, ob ein Fall der Not vorliegt. Wird dies anerkannt,
so hat die Militärbehörde dem Offizier, der das militärische Personal des Luftschiffs führt, das
Ehrenwort darüber abzuverlangen, daß weder er selbst noch ein anderer Insasse des Luftfahr-
zeugs auf oder über fremdem Gebiet eine Handlung begangen hat, durch welche die Sicherheit
des überflogenen Staates berührt werden könnte. Als solche Handlungen werden beispiels-
weise genannt Aufzeichnungen, photographische Aufnahmen oder Zeichnungen und Absendung
von Funkentelegrammen. Hierauf wird dem Luftfahrzeug gestattet, in seinen Heimatstaat
zurückzukehren, und zwar unter den von der Militärbehörde festgesetzten Bedingungen auch
auf dem Luftweg. Läßt sich die Rückkehr nicht sofort ausführen, so genießt das Heeresfahrzeug
während seines Aufenthalts im fremden Lande nebst seinen Insassen das Recht der Exterri-
torialität, d. h. es darf keine Maßnahme gegen Schiff und Insassen getroffen werden,
die nicht aus Gründen der Staatssicherheit oder öffentlichen Gesundheit geboten ist, oder die
Abwendung einer unmittelbaren Gefahr von Personen oder Sachen bezweckt.
Wird dagegen ein Fall der Not, der die Landung rechtfertigte, nicht festgestellt, so wird
die Sache von der untersuchenden Militärbehörde der Gerichtsbehörde unter gleichzeitiger Be-
nachrichtigung ihrer Regierung übergeben.