Soziales Versicherungsrecht. 475
Ablauf der zwölften Woche nach der Niederkunft an solche Wöchnerinnen, welche ihre Neugeborenen
stillen (§ 200 RVO.); Erhöhung des Sterbegeldes bis zum vierzigfachen Betrag des Grundlohns
oder Festsetzung eines Mindestbetrags von 50 Mark (§ 204 RVO.); Familienhilfe, d. h.
Krankenpflege an versicherungsfreie Familienmitglieder, Wochenhilfe an versicherungsfreie
Ehefrauen der Versicherten und Sterbegeld beim Tode des Ehegatten oder eines Kindes eines
Versicherten.
III. Kürzungen der Regelleistungen sind nur in gesetzlich vorgeschriebenem
Umfange statthaft. So kann der Anspruch Versicherungsberechtigter, die der Kasse freiwillig
beigetreten sind, vom Ablauf einer Wartezeit von höchstens sechs Wochen abhängig gemacht
werden (§207 RVO.). Das Krankengeld kann ganz oder teilweise versagt werden, wenn der
Versicherte die Kasse durch eine strafbare Handlung geschädigt oder wenn er sich die Krankheit
vorsätzlich oder durch schuldhafte Beteiligung bei Schlägereien oder Raufhändeln zugezogen
hat (§ 192 RVO.). Ferner kann die Gesamtdauer der Leistungen für solche Versicherte, welche
mehr invalide als krank sind, eingeschränkt werden (§ 188 RVO.). Endlich ist eine Kürzung des
Krankengelds bei Doppelversicherung (wenn z. B. eine Person gleichzeitig bei einer
Krankenkasse und bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit versichert ist) zur Ver-
hütung einer „Uberversicherung“ vorgeschrieben (§ 189 RVO.).
IV. Die Leistungen der Krankenversicherung können von den Versicherten bei erneuten
Erkrankungen immer wieder von neuem gefordert werden.
V. Was die ärztliche Behandlung anlangt, so unterscheidet man das System der freien.
Arztwahl, wonach den Versicherten die Wahl des Arztes, von dem sie sich behandeln lassen.
wollen, freigestellt wird, und das System der Kassenärzte (Arztzwang), wonach die Kasse
bestimmte Arzte für die Behandlung der Versicherten bestimmt. Dieselben Verschiedenheiten
der Prinzipien kehren bei den Apotheken wieder (Kassenapotheken und freie Apotheken).
Der Reichsversicherungsordnung ist es nicht gelungen, das Verhältnis der Krankenkassen
zu Arzten und Apothekern befriedigend zu lösen. Die wichtigeren Grundsätze, welche die RV0.
aufgestellt hat 1, sind folgende:
Die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Arzten werden durch schriftlichen
Vertrag geregelt; die Kasse kann die Bezahlung anderer Arzte, von dringenden Fällen ab-
gesehen, ablehnen (§ 368 RVO.). Die Kasse soll ihren Mitgliedern die Auswahl zwischen min-
destens zwei Arzten freilassen, soweit dies die Kasse nicht erheblich mehr belastet. Ubernimmt
der Versicherte die Mehrkosten, so steht ihm die Auswahl unter den von der Kasse bestellten Arzten
frei. Die Satzung kann jedoch bestimmen, daß der Behandelte während desselben Versicherungs-
falls oder Geschäftsjahrs den Arzt nur mit Zustimmung des Vorstands wechseln darf (§ 369 RVO.).
Wird bei einer Krankenkasse die ärztliche Versorgung dadurch ermstlich gefährdet, daß die
Kasse keinen Vertrag zu angemessenen Bedingungen mit einer ausreichenden Zahl von Arzten
schließen kann, oder daß die Arzte den Vertrag nicht einhalten, so ermächtigt das Obewersicherungs-
amt die Kasse auf ihren Antrag widerruflich, statt der Krankenpflege oder sonst erforderlichen
ärztlichen Behandlung eine bare Leistung bis zu zwei Dritteln des Durchschnittsbetrags ihres
gesetzlichen Krankengelds zu gewähren. Ferner kann das Obewersicherungsamt anordnen, daß
eine Krankenkasse, falls die ärztliche Behandlung oder Krankenhauspflege den berechtigten
Anforderungen der Erkrankten nicht genügt, diese Leistungen noch durch andere Arzte oder Kranken-
häuser zu gewähren hat (§ 372 Abs. 1 RV0O.).
8§ 8. Die Aufbringung der Mittel.
Die für die Durchführung der Krankenversicherung erforderlichen Mittel werden durch
Beiträge aufgebracht. Die Erhebung von Eintrittsgeldern, die das frühere Recht kannte,
hat die Reichsversicherungsordnung abgeschafft. Über die Höhe der Beiträge mußte das Gesetz,
soweit der Versicherungszwang reicht, eingehende Vorschriften treffen, denn das Gegengewicht
gegen die Einführung des Zwanges bildet die Sorge dafür, daß die Lasten eine gewisse Grenze
nicht überschreiten. Für die Erhebung der Beiträge gelten folgende Grundsätze:
Zu vgl. zs 368—376 RVO.