Soziales Versicherungsrecht. 477
§ 9. Das Verfahren bei der Rechtsverwirklichung 1.
I. Die Reichsversichenungsordnung hat an Stelle der unübersichtlichen Mannigfaltigkeit
der zur Entscheidung berufenen Instanzen einen einfachen und klaren Aufbau der Ver-
sicherungsbehörden geschaffen. Diese Behörden sind: die Versicherungsämter, die
Obewersicherungsämter, das Reichsversichenungsamt und die Landesversicherungsämter.
1. Die Versicherungsämter — in der Regel Abteilungen für Arbeitewersicherung
bei den unteren Verwaltungsbehörden — bestehen aus einem Vorsitzenden und aus Ver-
sicherungsvertretern (d. h. Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten), die von den Vor-
standsmitgliedern der Krankenkassen, knappschaftlichen Krankenkassen usw. nach den Grund-
sätzen der Verhältniswahl 2 gewählt werden. Jedes Versicherungsamt hat einen oder mehrere
Spruchausschüsse, bestehend aus dem Vorsitzenden und zwei Versicherungsvertretern,
und einen Beschlußausschuß, bestehend aus dem Vorsitzenden und zwei Versicherungs-
vertretern.
2. Die Oberversicherungsämter, die in der Regel an die höheren Ver-
waltungsbehörden angegliedert sind 3, bestehen aus einem Vorsitzenden, seinem ständigen Stell-
vertreter (Direktor des Obewersicherungsamts), mindestens noch einem ständigen beamteten
Mitglied und aus Beisitzern aus den Arbeitgebern und Versicherten. Jedes Obewersicherungs-
amt hat eine oder mehrere Spruchkammern und eine Beschlußkammer. Die
Spruchkammer besteht aus einem Mitgliede des Obewersicherungsamts als Vorsitzendem und
je zwei Beisitzern aus dem Stande der Arbeitgeber und der Versicherten (mithin aus fünf Mit-
gliedern). Die Beschlußkammer besteht aus dem Vorsitzenden, einem zweiten Mitgliede und
aus je einem Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten als Beisitzer (mithin aus vier Mit-
gliedem) 4.
3. Das Reichsversicherungsamt besteht aus einem Präsidenten, Direktoren,
Senatspräsidenten, ständigen Mitgliedern und aus nichtständigen Mitgliedern, von denen acht
vom Bundesrat s und die übrigen von den Arbeitgebern und Versicherten gewählt werden. Zu
den Entscheidungen werden ferner richterliche Beamte zugezogen.
Das Reichsversicherungsamt bildet Spruchsenate und Beschlußsenate. Der
Spruchsenat besteht aus einem Vorsitzenden, einem vom Bundesrat gewählten nichtständigen
Mitglied, einem ständigen Mitglied, zwei richterlichen Beamten und je einem Vertreter der
Arbeitgeber und der Versicherten (mithin aus sieben Mitgliedern). Der Beschlußsenat besteht
aus einem Vorsitzenden, einem vom Bundesrat gewählten nichtständigen Mitglied und je einem
Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten (mithin aus fünf Mitgliedern), wozu noch weitere
mit der Bearbeitung der Sache betraute Mitglieder des Reichsversicherungsamts zugezogen
werden können.
Neben den regelmäßigen Senaten steht der Große Senat des Reichsversicherungs-
amts, der die Aufgabe hat, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem Gebiete der Arbeiter-
versichenung im Deutschen Reiche aufrechtzuerhalten. Der Große Senat besteht aus elf Mit-
gliedern (Präsident, zwei vom Bundesrat gewählten Mitgliedern, zwei ständigen Mitgliedern,
zwei richterlichen Beisitzern und je zwei Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten).
Dazu treten noch zwei Mitglieder von Landesversicherungsämtern, wenn in einer Sache zu ent-
1 Zu vgl. namentlich §§ 1545 ff. RV O., ferner die drei Kaiserlichen Verordnungen über
Geschäftsgang und Verfahren: a) der Versicherungsämter, b) der Oberversicherungsämter und
J) des Reichsversicherungsamts, vom 24. Dezember 1911 (RBl. 1911, S. 1083 ff.), sowie die Kaiser-
liche Verordnung, betr. die Gebühren der Rechtsanwälte in dem Verfahren vor den Versicherungs-
behörden, vom 24. Dezember 1911 (RBl. 1911, S. 1094).
à Zu vgl. oben § 6 IV. Anm. 8.
* In Preußen an die Regierungen.
4 Besondere Oberversicherungsämter sind zugelassen für Betriebsverwaltungen und Dienst-
betriebe des Reiches oder der Bundesstaaten, die eigene Betriebskrankenkassen haben; für Gruppen
von Betrieben, für deren Beschäftigte Sonderanstalten die Invaliden= und Hinterbliebenen-
versicherung besorgen, und für Gruppen von Betrieben, die Knappschaftsvereinen und Knappschafts-
kassen angehören.
* Und zwar mindestens sechs aus seiner Mitte.