Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 45 
zweimal kurz nacheinander, in den Finanzgesetzen von 1810 und von 1811 ist die Einrichtung 
einer „Nationalrepräsentation“ in Aussicht gestellt worden. Es waren das unzweifelhaft ehrlich 
gemeinte Verheißungen, und auch in der nächsten Folgezeit dauerte die konstitutionelle Strömung 
in den maßgebenden Kreisen der preußischen Regierung zunächst noch fort, wie namentlich aus 
der Haltung und den Außerungen dieser Regierung auf dem Wiener Kongreß, vor allem aber 
aus dem Erlaß der königlichen Verordnung vom 22. Mai 1815 „über die zu bildende Repräsentation 
des Volkes“ hervorgeht. 
Diese Verordnung will die Gesamtvertretung des preußischen Volkes aufbauen auf der 
Grundlage von Provinzialständeversammlungen: in den Landesteilen, welche vor alters der- 
gleichen Ständeversammlungen hatten (z. B. Ostpreußen), sollen sie restauriert, anderwärts 
neu eingerichtet werden, und aus Wahlen all dieser Provinzialstände soll dann die Gesamt- 
vertretung hervorgehen; der Wirkungskreis der letzteren soll sich erstrecken auf die Beratung 
solcher Gesetze, welche die persönlichen und Eigentumsrechte, mit Einschluß der Besteuerung, 
betreffen. Also wiederum, wie 1810/11, nur eine Verheißung, und auch diese wurde in dem 
entscheidenden Punkte nicht erfüllt. Der (von Treitschke, D. G. 3, 198 ff. eingehend 
geschilderte) Gang der Dinge ist nämlich in Kürze der gewesen, daß wohl die Provinzialstände 
geschaffen wurden, welche nach der Verordnung vom 22. Mai 1815 der „Versammlung der 
Landesrepräsentanten“ oder „reichsständischen Versammlung“, also dem Gesamtparlament, als 
Unterbau dienen sollten, nicht aber das letztere selbst. Die konstitutionellen Pläne des Staats- 
kanzlers Hardenberg unterlagen bei dem Könige im Kampfe mit einer ihnen feindlichen, 
ebenso reaktionären wie romantischen Parteirichtung, deren Führer, der damalige Kronprinz, 
nachmalige König Friedrich Wilhelm IV., war, und welche ihr Programm: eine historisch 
möglichst treue Wiederherstellung der alten, durch den Absolutismus des 17. und 18. Jahr- 
hunderts außer Dienst gesetzten und zum Teil ausgerotteten Ständekorpora der einzelnen 
Landesteile, im wesentlichen durchgesetzt hat. Es erschien das Gesetz vom 5. Juni 1823 „wegen 
Anordnung der Provinzialstände“, demzufolge in jeder der (acht) Provinzen der Monarchie 
eine Provinzialständeversammlung (Provinziallandtag) eingerichtet wurde (nähere Regelung 
durch provinzielle Spezialgesetze von 1823/24), welche, auf durchaus altständischer Gliederung 
beruhend — Virilstimmen des hohen Adels, gewählte Vertreter der Ritterschaft, der Städte, der 
Bauern —, eine eng begrenzte, lediglich beratende, nicht beschließende Mitwirkung bei dem 
Erlaß von provinziellen und gewissen allgemeinen Landesgesetzen üben sollten. An die Bildung 
eines allgemeinen Landtags aus diesen provinziellen Vertretungen im Sinne der Verordnung 
vom 22. Mai 1815 wurde nicht gedacht. Wenigstens nicht mehr, solange König Friedrich 
Wilhelm III. (I 1840) regierte. 
Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. sah sich dagegen genötigt, den immer 
lauter auf Erfüllung der Verheißung von 1815 dringenden, innerhalb und außerhalb der 
Provinziallandtage sich erhebenden Forderungen allmählich nachzugeben. So wurde zunächst 
— 1842 — der Versuch gemacht, diesen Forderungen mit der Einberufung einer Versamm- 
lung, bestehend aus je zwölf Delegierten jedes der acht Provinziallandtage, zu genügen. Doch ohne 
den gewünschten Erfolg: dieser „vereinigte ständische Ausschuß“ erklärte sich für nicht kompetent, 
der Regierung die Aufnahme einer Staatsanleihe zu bewilligen, da — nach dem Staatsschulden- 
gesetz vom 17. Januar 1820 — solche Bewilligungen den künftig einzuberufenden „Reichs- 
ständen“, d. h. der allgemeinen Landesvertretung, vorbehalten sei, der ständische Ausschuß sich 
selbst aber die Eigenschaft einer solchen reichsständischen Landesvertretung absprechen müsse. 
Furuchtlos blieb auch der im Jahre 1847 vom Könige untemommene Versuch, den konstitutionellen 
Wünschen des Landes durch Formation einer Plenawersammlung der acht Provinziallandtage 
entgegen- oder vielmehr zuvorzukommen: Königl. Patent, die ständischen Einrichtungen betr., 
vom 3. Februar 1847. Nach diesem Patent sollte aus allen Mitgliedern der Provinziallandtage 
der „Vereinigte Landtag“ gebildet werden, eingeteilt in zwei Kurien, die „Herren- 
kurie“ (Stand der Fürsten, Grafen und Herren, 80 Stimmen), und die „Kurie der drei Stände“ 
(231 Abgeordnete der Ritterschaft, 182 der Städte, 124 der Landgemeinden). Beide Kurien 
berieten und beschlossen in der Regel getrennt, vereinigt jedoch über Regierungsvorlagen, welche 
die Aufnahme von Anleihen oder die Einführung neuer bzw. die Erhöhung bestehender Steuern 
betrafen, d. h. in solchen Angelegenheiten, bei denen allein die Zuständigkeit des Vereinigten
	        
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