46 G. Anschütz.
Landtags, dem sonst nur eine beratende Stimme zukam, eine beschließende war. Periodizität
der Einberufung war dem vereinigten Landtag nicht bewilligt, wohl dagegen in engen Grenzen
dem vereinigten ständischen Ausschuß zugestanden. Die erste Session des Vereinigten Landtags
(April bis Juni 1847) verlief völlig ergebnislos und wurde geschlossen, nachdem der Landtag
wiederholt die Periodizität und die Verstärkung seiner Kompetenz verlangt, der König diese
Begehren ebenso wiederholt abgeschlagen hatte. Niemand ahnte, wie nahe die Ereignisse waren,
die zu Konzessionen an die konstitutionellen Prinzipien zwingen sollten, viel weitergehend als
die bescheidenen Forderungen des ersten Vereinigten Landtags.
Diese Ereignisse blieben nicht aus. Die Pariser Februar-Revolution setzt eine Flutwelle
revolutionärer Unruhen in Bewegung, welche, Deutschland von Südwest nach Nordost durch-
eilend, die preußische Hauptstadt am 18. März 1848 erreichte. Am Abend dieses Tages brach
in Berlin ein Aufstand mit blutigen Straßenkämpfen aus, nachdem noch kurz vorher der König
durch eine Proklamation die Erfüllung aller erdenklichen Volkswünsche in unmittelbare Aus-
sicht gestellt hatte 1. Zum zweiten und letzten Male wurde der Vereinigte Landtag einberufen;
die Regierung forderte und erhielt seine Zustimmung zu einem — unterm 8. April 1848 er-
lassenen — Gesetze, welches die Berufung einer aus allgemeinen, indirekten Volkswahlen hervor-
gehenden Versammlung anordnete, mit der die künftige Staatsverfassung Preußens „ver-
einbart“ werden sollte. Am 22. Mai 1848 wurde diese „Nationalversammlung"
in Berlin eröffnet und ihr mittels Königlicher Botschaft ein „Entwurf eines Verfassungsgesetzes
für den preufßzischen Staat“ vorgelegt. Eine Einigung über diesen Entwurf gelang nicht. Haupt-
sächlich deshalb nicht, weil die Nationalversammlung in Verkennung ihrer staatsrechtlichen
Stellung sich als eine assembléc constituante' gebärdete, als eine souveräne Versammlung
die nicht darauf beschränkt ist, mit der Krone zu vereinbaren, sondern berufen, der Krone und
dem Lande durch ihren einseitigen Willen cine Verfassung zu geben. Im Herbst 1818 enthüllte
sich die volle Aussichtslosigkeit weiteren Verhandelus zwischen Regierung und Nationalversamm-
lung. Letztere wurde schließlich am 5. Dezember 1848 aufgelöst; an demselben Tage „oktroyierte"
der König aus eigener Machtvollkommenheit eine Verfassung 2, welche durch die in ihr vor-
gesehene, aus zwei Kammer bestehende Volksvertretung (die Revisionskammern“,
Wahlgesetze für dieselbe vom 6. Dezember 1848) einer alsbaldigen Totalrevision unterzogen.
werden sollte. Durch den Erlaß dieser „oktroyierten“ Verfassung — nicht mehr noch minder
„oktroyiert“ als jedes Gesetz der bis dahin noch immer absoluten, insbesondere auch durch das
Dasein und die Kompetenz der Nationalversammlung staatsrechtlich noch nicht cingeschränkten
Monarchie — ist das Königreich Preußen in die Reihe der konstitutionellen Staaten eingetreten.
Die Revisionskammern traten am 26. Februar 1849 zusammen und erkannten die Ver-
fassung vom 5. Dezember 1848 als das zu Recht bestehende Staatsgrundgesetz an. Alsbald
stockte jedoch das Revisionswerk; Aussicht auf Gelingen desselben eröffnete sich erst, nachdem
die II. Revisionskammer im April 1849 aufgelöst und an ihre Stelle eine neue Kammer
auf Grund nun nicht mehr des allgemeinen und gleichen Stimmrechts des Gesetzes vom 6. Dezem-
ber 1848, sondern des durch Verordnung vom 30. Mai 18419 eingeführten sog. „Dreiklassen-
systems“ (s. unten § 33, S. 143) gewählt und einberufen worden war. In den letzten Tagen
des Jahres 1849 wurde die Revision zu Ende geführt, und ist hierauf — nachdem die Regierung
schließlich noch eine Reihe von Amendements aufgestellt („Propositionen“ vom 7. Januar 1850)
und die Zustimmung der Kammern zu einigen derselben durchgesetzt hatte — die „Verfassungs-
urkunde für den preußischen Staat“ vom König am 31. Januar 1850 sanktioniert und verkündigt
worden. Die Vll. vom 31. Januar 1850, seither in verschiedenen Punkten auf dem vor-
geschriebenen Wege (Vll. Art. 107) abgeändert, gilt mit dieser Maßgabe noch heute als Staats-
grundgesetz Preußens. Ihr Text gliedert sich in 119 Artikel, verteilt auf neun Titel mit den
Überschriften: I. Vom Staatgebiete; II. Von den Rechten der Preußen; III. Vom Könige;
IV. Von den Ministern; V. Von den Kammem; VI. Von der richterlichen Gewalt; VII. Von
— ——
1 Uber die Proklamation vom 18. März und die politischen Beweggründe dieser und der
anderen „Märzverheißungen“ der preußischen Regierung vgl. Anschütz, Kommentar z. preuß.
Verfassung 28 ff.
* Uber die Oktroyierung: Anschütz a. a. O. 44 ff.