Deutsches Staatsrecht. 85
wohner der Schutzgebicte, denen die Reichsangehörigkeit durch Verfügung des Reichskanzlers
oder der von ihm ermächtigten Behörde verliehen worden ist (Schutzgebietgesetz vom 25. Juli
1900, J 9, Abs. 1; vgl. unten S. 86 und § 25).
Das Gesetz vom 1. Juni 1870 ist nunmehr durch das Reichs= und Staats-
angehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, welches am 1. Januar 1914 in Kraft
tritt, ersetzt worden. Nach diesem Gesetz ist „Deutscher, wer die Staatsangehörigkeit in
einem Bundesstaat oder die unmittelbare Reichsangehörigkeit besitzt“ (§ 1). Elsaß-Lothringen
gilt im Sinne dieses Gesetzes als Bundesstaat; die Schutzgebiete gelten als Inland (§ 2).
Die Gründe, welche nach dem neuen Gesetz den Erwerb und Verlust der Reichs= und
Staatsangehörigkeit herbeiführen, sind folgende.
I. Erwerb. — 1. Erwerb der Staatsangehörigkeit in einem Einzelstaate. Die Staats-
angehörigkeit in einem deutschen Einzelstaate wird erworben: a) durch Geburt. Eheliche
Kinder erwerben die Staatsangehörigkeit des Vaters, uneheliche die der Mutter. Der Ort
der Geburt ist ohne rechtliche Bedeutung, so daß für das Kind ausländischer Eltern die
deutsche Staatsangehörigkeit auch dann nicht erworben wird, wenn die Geburt in Deutschland
erfolgt und anderseits dieser Erwerb für das Kind deutscher Eltern selbst sich dann vollzieht,
wenn es im Auslande zur Welt kommt (also strenge Durchführung des mit „#ius sanguinis“
bezeichncten Prinzips, Ablehnung des manchen ausländischen Gesetzgebungen zugrunde
liegenden „#us soli“). Die Annahme an Kindesstatt steht der Geburt nicht gleich, bewirkt
also den Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht. Ein Kind, das in dem Gebiete eines Einzel-
staates aufgefunden wird (Findelkind), gilt bis zum Beweise des Gegenteils als Kind eines
Angehörigen dieses Staates (§ 4, Abs. 2). 2. Durch Legitimation. Eine nach den
deutschen Gesetzen (vgl. BGB. §s 1719 ff.) wirksame Legitimation durch einen Deutschen
begründet für das Kind die Staatsangehörigkeit des Vaters (§X§ 5). 3. Durch Ehe-
schließung. Durch die Eheschließung mit einem Deutschen erwirbt die Frau die Staats-
angehörigkeit des Mannes (§F 6). 4. Durch Verwaltungsakt: Verleihung seitens
des Einzelstaates, dessen Angehörigkeit erworben werden will. Die Verleihung wird „Auf-
nahme“ genannt, wenn der, welcher sie nachsucht, schon eine deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt, Einbürgerung (früher „Naturalisation“), wenn er ein Ausländer ist.
Gemeinsam ist beiden Arten der Verleihung die rechtliche Natur und die Form. Die
rechtliche Natur ist nicht die eines Vertrages oder eines sonstigen zweiseitigen Aktes, sondern die
einer einseitigen, zur Kategorie der rechts= bezw. statusbegründenden Verwaltungsakte ge-
hörigen Verfügung, für welche allerdings (was den Schein der Zweiseitigkeit erweckt) ein auf
ihren Erlaß gerichteter Antrag des Destinatärs Voraussetzung der Gültigkeit ist. Die Form an-
langend ist Schriftlichkeit vorgeschricben: die Verleihung wird wirksam mit der Aushändigung
der von der höheren Verwaltungsbehörde hierüber ausgefertigten Urkunde (§ 16 Abs. 1).
Die Frage, unter welchen Bedingungen die Verleihung erfolgen muß bzw. erfolgen darf,
ist bei den beiden Arten der Verleihung ganz verschieden geregelt.
#)Die Vorschriften über die Aufnahme stehen unter dem Gesichtspunkte, den
landesfremden Reichsangehörigen den Erwerb der Zugehörigkeit zum Aufenthaltsstaate nach
Möglichkeit zu erleichtern. Die Aufnahme muß erfolgen, wenn der sie nachsuchende Deutsche
in dem Staate, dessen Angehöriger er werden will, sich niedergelassen hat, und darf in
diesem Falle nur verweigert werden, wenn Gründe vorliegen, welche nach dem Freizügigkeits-
gesetz vom 1. November 1867 §§ 3—5 die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Ver-
sagung der Fortsetzung des Aufenthalts rechtfertigen (§7. Diese Gründe sind: Bestrafungen,
welche mit polizeilichen Aufenthaltsbeschränkungen verbunden sind, Unfähigkeit, sich und seinen
Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen). Die Aufnahme ist gebührenfrei.
#) Im Gegensatz zur Aufnahme kann die Einbürgerung nach Ermessen der zu-
ständigen Verwaltungsbehörde versagt werden, was man auch so ausdrücken kann: der Aus-
länder hat kein Recht auf Einbürgerung; auch dann nicht, wenn er den Bedingungen,
unter denen das Gesetz die Einbürgerung überhaupt nur gestattet, unzweifelhaft entspricht.
Diese Bedingungen sind (vgl. § 8): Niederlassung im Gebiete des Staates, dessen Bürger-
recht begehrt wird (Ausnahme & 13), Geschäftsfähigkeit, Unbescholtenheit, Besitz einer eigenen