Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 89 
oben S. 74, 75) findet: Ansprüche auf positive Leistungen und Ansprüche auf ein negatives 
Sichverhalten des Staates, d. h. auf Unterlassung von Eingriffen in das dem einzelnen nach 
Verfassung und Gesetz zustehende Maß persönlicher Freiheit. 
a) Rechte auf positive Leistungen des Staates (Meyer-Anschütz 
§ 216, Jellinek a. a. O. S. 114 ff.). Es gehören hierher: der Anspruch auf Schutz gegen- 
über anderen Staaten, ein Recht, welches, sofern als Schadenstifter das Ausland in Frage 
kommt, sich unmittelbar und ausschließlich gegen die Reichsgewalt richtet: Art. 3 Abs. 6 
NV., — ferner der Anspruch auf Rechtsschutz, dem teils von den Einzelstaaten, teils vom Reiche 
genügt wird, und dessen stete Erfüllung unter die besondere Gewährleistung des Reiches gestellt 
ist, sofern letzteres gemäß Art. 77 RV. in Fällen der „Justizverweigerung“, d. h. vorsätzlicher 
Verkürzung des Rechtsschutzanspruches durch die Einzelstaatsgewalten, einzuschreiten befugt 
und verpflichtet ist. Subjektive öffentliche Rechte vom Typus dieses „positiven Status"“ 
(Jellinekhliegen weiterhin überall da vor, wo dem einzelnen Ansprüche auf gewisse, seinem 
Interesse dienende Verwaltungstätigkeiten des Reiches, der Einzelstaaten, der Gemeinden und 
öffentlichrechtlichen Körperschaften oder Anstalten durch besondere Gesetze eröffnet sind; — 
erinnert sei hier beispielsweise an das Recht auf Erteilung oder Entlassung aus der Staats- 
angehörigkeit (loben S. 85—87), Rechte auf Benutzung öffentlicher Einrichtungen und An- 
stalten (Bildungsanstalten, Verkehrsanstalten), die Ansprüche aus den Sozialversicherungs- 
gesetzen des Reichs (Reichsversichenungsordnung vom 19. Juli 1911, Versicherungsgesetz für 
Angestellte vom 20. Dezember 1911) gegen die Träger dieser (durchaus öffentlichrechtlich ge- 
stalteten) Versicherung, z. B. auf Gewährung von Krankenhilfe, Unfallentschädigung, Invaliden- 
und Altersrente. 
b) Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen der öffent- 
lichen Gewalt in das gesetzlich gewährleistete Maß persönlicher 
Freiheit (vgl. Meyer-Anschütz §§ 217 ff. sowie besonders die Ausführungen 
Jellineks über den „negativen Status“, System S. 94 ff.). Unter persönlicher Freiheit 
(Gegensatz: politische Freiheit, d. h. Fähigkeit, politische Rechte zu haben und auszuüben, 
also Anteil zu nehmen an der Bildung des Staatswillens) ist hier verstanden die Freiheit 
vom Staat: die Befsugnis des Individuums, unbehelligt alles tun und lassen zu dürfen, 
was der Staat nicht ausdrücklich verbietet bzw. gebietet. Es handelt sich hier um einen sehr 
weittragenden und allgemein gearteten Anspruch negatorischen Charakters, welcher für eine 
Reihe von praktisch besonders wichtigen und wertvollen Bestätigungen der persönlichen Freiheit 
ausdrückliche Anerkennung und Verbriefung gefunden hat in den Grund= oder Frei- 
heitsrechten der konstitutionellen Verfassungen. 
Fast alle deutschen Landesverfassungen enthalten Aufzählungen solcher Grund= oder 
Freiheitsrechte; eine besonders reiche Auswahl bietet, in oft enger Anlehnung an das Vorbild 
der von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen Grundrechte des deutschen Volkes 
(. oben S. 48), die preußische Verfassungsurkunde mit ihrem zweiten Titel (Art. 4—42), 
überschrieben „von den Rechten der Preußen“ (ausführlicher Kommentar von Anschütz, 
preuß. Verfass.-Urk. 1 91 ff.). Dort figurieren, um nur einiges beispielsweise anzuführen, 
als Grund= und Freiheitsrechte: die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 4), die Sicherheit vor will- 
kürlicher Verhaftung (Art. 5), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), die Unverletzlichkeit 
des Eigentums (Art. 9), die Glaubens= und Kultusfreiheit, die Unabhängigkeit der bürgerlichen 
und staatsbürgerlichen Rechte von dem Glaubensbekenntmis (Art. 12), die Freiheit der Meinungs- 
äußerung nebst der sie einschließenden Preffreiheit (Art. 27, 28), die Versammlungs= und Vereins- 
freiheit (Art. 29, 30) u. a. m. In der Reichsver fassung finden sich Bestimmungen 
dieser Art und Tendenz nicht. Wohl aber hat das Reich es sich angelegen sein lassen, diejenigen 
Angelegenheiten, welche nach Art. 4 seiner Gesetzgebungskompetenz unterliegen, in dem frei- 
heitlichen Sinne zu ordnen, welcher durch die „Grundrechte“ der Einzelstaatsverfassungen vor- 
geschrieben werden wollte, und sind auf diesem Wege Aufenthalts-, Niederlassungs-, Reise- 
und Auswanderungsfreiheit, Glaubensfreiheit und Gleichberechtigung der Konfessionen, Ver- 
ehelichungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Preßfreiheit, Versammlungs= und Vereinsfreiheit, Brief- 
geheimnis, zwar nicht durch die Verfassung, aber durch besondere Gesetze des Reichs (Frei- 
zügigkeitsgesetz vom 1. November 1867, Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen
	        
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