Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

92 G. Anschütz. 
Mitglieder der regierenden Häuser nur insoweit Anwendung finden, als nicht die Haus- oder 
Landesgesetze abweichende Vorschriften enthalten); 2. Befreiung vom Militärdienst und ge- 
wissen Militärlasten (Quartier- und Vorspannlast): Kriegsdienstgesetz vom 9. November 1867, 
Quartierleistungsgesetz vom 25. Juni 1868, § 4); 3. Portofreiheit (diese ist nur den regierenden 
Herren selbst, deren Gemahlinnen und Witwen zugestanden: Bundesgesetz vom 5. Juni 1869); 
4. Recht auf erhöhten strafrechtlichen Schutz (StreB. Ss 96, 97, 100). 5. Befreiung von der 
Reichs-Erbschafts= und Zuwachssteuer (ErbschaftsstG# vom 3. Juni 1906, § 13, Zuwachsst G. 
vom 14. Februar 1911, § 30 Nr. 1). An der Spitze der landesrechtlichen Privilegien stehen die 
— in den einzelnen Staaten sehr verschiedenartig gestalteten — Befreiungen von den Landes- 
steuern. Gemeinhin ist volle Freiheit von den staatlichen Personalsteuern (Einkommen= und 
Vermögenssteuer), auch wohl (so in Preußen) von der Gemeindeeinkommensteuer gewährt, 
Freiheit von den Realsteuern meist nur als Grund= und Gebäudesteuerfreiheit der Schlösser 
und zugehörigen Grundstücke. 
2. Die Depossedierten. Hierunter werden verstanden die Mitglieder der 1866 
entthronten ehemaligen Dynastien von Hannover, Kurhessen und Nassau sowie seit dem Reichs- 
gesetz vom.25. März 1904 (Rl. 149) des schleswig-holsteinischen Fürstenhauses. Die oben 
bei den regierenden Häusern zu 1. erwähnten Exemtionen sind auch den Depossedierten zu- 
gestanden, desgleichen — mit gewissen Vorbehalten — die Militärprivilegien (ogl. Anschütz, 
preuß. Verf. 120, 121). Landezsgesetzlich ist in Preußen dem hannöverschen, hessischen und 
nassauischen, nicht aber auch dem schleswig-holsteinischen Hause Freiheit von den staatlichen 
(nicht den kommunalen) Personalsteuern gewährt. 
3. Standesherrliche (mediatisierte) Familien sind die ehemals 
reichsständischen und landesherrlichen, „im Jahre 1806 und seitdem mittelbar gewordenen“ 
(Bundesakte Art. 14), d. h. ihrer Landeshoheit beraubten fürstlichen und gräflichen Häuser. 
Deren Rechtsverhältnisse wurden erstmals durch die Rheinbundsakte geregelt, welche 
den bei Gründung des Rheinbundes in großer Zahl depossedierten und den Rheinbundstaaten 
einverleibten Fürsten und Grafen in diesen Staaten und deren Herrscheim gegenüber eine höchst- 
privilegierte Stellung gewährte, indem sie ihnen aus dem Bestande ihrer ehemaligen Landes- 
hoheitsrechte weiterhin beließ „tous les droits seigneuriaux et féodaux non essentiellement 
inhérens à la souveraineté“ (RhB. Art. 27, 28). Die Bestimmungen der Rheinbundsakte 
wurden durch die Bundesakte vom 8. Mai 1815 Art. 14 ausgenommen und ergänzt. Die 
deutschen verbündeten Regierungen sollten hiernach verpflichtet sein, den standesherrlichen 
Familien und ihren Häuptern genau bezeichnete Privilegien zu gewähren: die patrimoniale 
Innehabung und Ausübung solcher Hoheitsrechte, welche „nicht zu der Staatsgewalt und den 
höheren Regierungsrechten gehören“ (Patrimonialjustiz und polizei, Kirchen= und Schulpatro- 
nat), privilegierter Gerichtsstand, Steuer- und Militärfreiheit, Freizügigkeit im ganzen Bundes- 
gebiete, Fortbestand des alten Familienrechts und Befugnis, dasselbe durch autonomische 
Satzungen weiterzubilden, Recht der Ebenbürtigkeit mit den regierenden Dynastien. 
Auf Grund und in Vollzug dieser Bestimmungen der Bundesakte wurde die Stellung 
der Standesherren in den einzelnen deutschen Staaten landesrechtlich geregelt, und zwar teils 
im Wege einfacher Publikation der Bü., teils durch besondere landesgesetzliche Vorschriften 
(Preußen: Königl. Verordnung vom 21. Juni 1815, Instruktion vom 30. Mai 1820; 
Bayern: Vl. vom 1818 Tit. V § 2, Beilage IV zur Vl.) oder auch durch Verträge mit 
den einzelnen standesherrlichen Häusern (so in Württemberg). Die weitere Entwicklung ist 
an diesen landesrechtlichen Normen nicht spurlos vorübergegangen; in mehreren Staaten 
wurden sie seit 1848 durch Aufhebung der Steuerprivilegien und der Patrimonialgerichtsbar- 
keit geändert; in Preußen stellte Art. 4 der Vll. (s. oben S. 91) sogar ihren gesamten Weiter- 
bestand in Frage, worauf jedoch eine sog. „Deklaration“ dieses Verfassungsartikels vom 10. Juni 
1854 den Weiterbestand der standesherrlichen Vorrechte für verträglich mit der Verfassung er- 
klärte und die Wiederherstellung dieser — durch die Gesetzgebung von 1848—1850 in weitem 
Umfange beseitigten — Privilegien im Wege der königl. Verordnung (erlassen am 12. November 
1855) anordnete. Durch die Militär= und Justizgesetzgebung des Norddeutschen Bundes und 
des Reiches sind mehrere Vorrechte der standesherrlichen Familien neuerdings anerkannt und 
bestätigt worden; soweit hiemach die Reichsgesetzgebung nicht eingegriffen hat, ist die Landes-
	        
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