104 Berthold Freudenthal.
e) Haftformen.
I. Für die Festlegung der Haftformen ist de lege ferenda zwischen den kürzeren und den
längeren Freiheitsstrafen zu unterscheiden. Entsprechend der Verschiedenheit ihres Zweckes
wird bei der kürzeren Freiheitsstrafe nicht das gleiche Haftsystem angebracht sein wie bei der
längeren. Denn die Aufgabe der ersteren kann unter keinen Umständen, wie bei der letzteren,
die Besserung des Täters sein.
Will man in der kürzeren Freiheitsstrafe auch nur Verschlechterung des
Täters hindem, so ist für sie Einzelhaft geboten. Die Tendenz, die bei uns in Deutschland
von den Strafvollzugsverwaltungen überwiegend eingehalten worden ist, nämlich nach Durch-
führung der Einzelhaft durch Bau von Zellgefängnissen und Schaffung von Zellen überhaupt,
ist insoweit für die Gefängnisse der Zukunft durchaus zu billigen. Dies ist auch der Stand-
punkt des (halboffiziellen) Vorentwurfes der Sachverständigen--Kommission zu einem
deutschen Strafgesetzbuche von 1909 5+. 22, des (privaten) Gegenentwurfes von 1911
* 45 und der ersten Lesung des (offiziellen) Entwurfes von 1913 (DJ. 16, 724).
Anders bei Zuchthaus und den langzeitigen Freiheitsstrafen überhaupt. Obauch
hier Einzelhaft angebracht ist, entscheidet sich nach der Wirkung der Zelle. Ehe wir die
Erfahrungen der am Vollzuge der Einzelhaft Beteiligten feststellen, fragen wir nach dem psycho-
logisch Wahrscheinlichen, d. i. nach den Empfindungen, die wir selbst vermutlich haben würden,
wenn man uns für lange Zeit in Einzelhaft unterbrächte. Der Gefangene ist ja doch, wie es
in einem Berichte der preußischen Gefängnisverwaltung des Innern mit Recht heißt, ein Mensch,
qualitativ in nichts verschieden von anderen Nichtgefangenen seines Standes.
à) Damach aber muß — eine erschöpfende Behandlung ist hier unmöglich — die Wirkung
der Einzelhaft eine verschiedene je nach der Natur des Gefangenen sein: Für die einen ist
sie, mit der Gemeinschaftshaft verglichen, eine Wohltat; das sind einerseits die Unsozialen, die
gem allein sind, denen an Aussprache nichts liegt, anderseits die geistig höherstehenden Elemente,
denen das Zusammensein mit den Elementen der Gemeinschaftshaft eine Erniedrigung dar-
stellt. Für die anderen ist sie eine ständig sich emeuernde Qual; das sind, von den nicht
Vollnormalen abgesehen, die Sozialen, die Verkehr brauchen, denen Einsamkeit schwer oder
kaum erträglich ist, und die niedrigen Elemente, die sich mit ihresgleichen wohl fühlen.
b) Nach dem Urteile der Verwaltung wie nach dem von Gefangenen wirkt die Einzelhaft
im ganzen verinnerlichend und vertiefend. Sie bessert in diesem Sinne. Wer im Vollzuge
solche innere Läuterung erstrebt, den wird die Einzelhaft im allgemeinen befriedigen. Nur
muß er sich in der Tat dabei bescheiden und nicht noch weiteres von ihr erwarten. Wer da-
gegen den Gefangenen bürgerlich bessemm, d. h. in die Freiheit unter derartigen Bedingungen
überführen will, daß er in ihr den Konkurrenzkampf unter günstigeren Aussichten als vor seiner
Einlieferung wiederaufnehmen kann, wer um dieses Zieles willen den Gefangenen vor Welt-
fremdheit, Anpassungsunfähigkeit und Menschenschen dauemd bewahren will, der wird der
Einzelhaft als Vollzugssystem bei längeren Freiheitsstrafen nicht das Wort reden können.
Denn nicht gestählt und gewappnet, sondern gedrückt und un-
sicher, voll Angst vor der Selbständigkeit und den in ihr für den
ehemaligen Gefangenen zu gewärtigenden Widerständen und
Vorurteilen der Außenwelt tritt der Anstaltsinsasse aus der
langzeitigen Einzelhaft ins Leben zurück.
Dies in erhöhtem Maße, wenn er, wie oben angedeutet, seiner Veranlagung nach den
Verkehr mit Menschen seinesgleichen braucht, dessen Mangel also schwerer empfindet als der
minder sozial Veranlagte. Der Besuch der Beamten kann, so wertvoll er ist, diese Wirkungen
der Einzelhaft erfahrungsgemäß nicht ausgleichen. Der freie Verkehr mit Gleichstehenden läßt
sich dadurch nicht ersetzen, und der günstige Einfluß, der von einer guten und tüchtig vorgebildeten
Beamtenschaft erwartet wurde, ist ausgeblieben. Der Widerstand, der unter diesem Gesichts-
punkte gegen die Einzelhaft vor ihrer Einführung geleistet wurde, war nach dem Urteile Sach-
verständiger kein unberechtigter.
Damit wäre von unserem Standpunkt aus der Einzelhaft für langzeitige Freiheitsstrafe
der Stab gebrochen. Wohlgemerkt, es wird hier nicht behauptet, daß sie, wie man es häufig