106 Berthold Freudenthal.
ihnen Elemente, die der Überweisung in „Minderwertigkeits-Abteilungen“ (A. Leppmann)
bedürften.
Daß Gefangene, die im Strafvollzug geisteskrank werden, in besondere Anstalten
gehören, bedarf kaum besonderer Erwähnung. Diese Anstalten aber dürfen keine allgemeinen
Irrenanstalten sein. Die Gefahr des Ausbruches allein würde hiergegen entscheiden müssen.
Doch tritt daneben auch der Gesichtspunkt einer Diskreditierung dieser nichtkriminellen An-
stalten durch kriminelle Elemente in den Vordergrund. Anstalten für geisteskranke Verbrecher
(Kriminalirrenanstalten) müssen baulich wie Strafanstalten gestaltet, ihr Personal muß in
Strafanstalten geschult sein.
Die weitaus wichtigste Gruppe aber, die einer Sonderbehandlung im Strafvollzuge bedarf,
sind die Jugendlichen.
d) Jugendliche.
Nirgends lohnt es sich mehr, alle Kraft des Strafvollzuges einzusetzen, als bei den jugend-
lichen Verbrechern. Einmal sind sie die aussichtsreichsten, weil bildungsfähigsten Gefangenen.
Bei ihnen schweigen aber auch die der Reform im übrigen vielfach hinderlichen Streitigkeiten
der Strafrechtsschulen im wesentlichen durchaus. Es ist die ganz überwiegend herrschende Mei-
nung in Deutschland, daß der Strafvollzug bei ihnen in erster Linie den Zweck der Besse-
rung hat.
Für oie richtige Umgrenzung dieses vielumstrittenen Begriffes heißt es sich erinnern,
daß das Gefängniswesen für uns Gefängnisrecht und als solches an die
Schranken alles Rechtes gebunden ist. Die Gesinnung des Gefangenen zu ändern ist
nicht unmittelbare Sache des Rechtes. Das Recht beeinflußt äußeres Ver-
halten. Darum ist Besserung im Gefängnisrecht als bürgerliche oder staatliche zu verstehen
und als identisch mit Erziehung zu einem den Gesetzen entsprechenden Leben anzusehen!;
moralische Besserung dagegen kann das unmittelbare Ziel des Strafvollzuges nicht sein.
Jenem Zwecke der Erziehung des jugendlichen Rechtsbrechers zum Staatsbürger ist der Straf-
vollzug in seinen Einzelheiten anzupassen.
Dabei handelt es sich freilich nicht bloß, wie man wohl in allzu bescheidener Gestaltung
der Vollzugszwecke gewollt hat, darum, ihnen in der Haft verderbliche Einflüsse fernzuhalten.
Das eigentliche Ziel besteht darin, neue starke positive Einflüsse in der Richtung
ihrer Umbildung in den Strafvollzug einzuschalten. Hierfür können die oben geschilderten
amerikanischen Vorbilder, die Reformgefängnisse, brauchbare Fingerzeige bieten, so wenig sie
etwa bei uns einfach nachgeahmt oder wahllos in alle Einzelheiten hinein übermommen werden
dürften. Gewiß bestehen in Deutschland schon längst wertvolle Ansätze zu einer Sonderbehand-
lung der Jugendlichen. Der Ausbau dieser Ansätze zu einemgeschlossenen
System von Jugendgefängnissen aberist ine der nächsten, größten
und aussichtsreichsten Aufgaben der Strafvollzugsverwaltung
wie der Vollzugsgesetzgebung.
Unumgänglich nötig sind in erster Linie besondere Anstalten für den Vollzug
längerer Freiheitsstrafen an Jugendlichen 2. Als solche sind die Freiheitsstrafen von einem
Jahr und mehr anzusehen. Hier sind bloße besondere Abteilungen in Anstalten, die
auch Erwachsene beherbergen — wir haben solcher Abteilungen für Jugendliche in Preußen
sieben unter dem Ministerium des Innem, fünfzehn unter dem der Justiz — kein irgendwie
gleichwertiger Ersatz. Denn weder ist wirkliche Trennung, noch gar wirkliche Erziehung so
lange möglich, wie sich die Jugendlichen hier unter ein und demselben Dache mit Erwachsenen
befinden.
Da das Ziel dieses Sonderstrafvollzuges, bei Festhaltung des Charakters der Strafe und
Strafanstalt, Besserung ist, so sind ihm Besserungsun fähige vom Richter gar nicht
erst zu überweisen; und wenn die Besserungsunfähigkeit sich erst im Vollzug ergibt, so müssen
1 Ziel des Strafvollzuges im Borstal System ist, „daß der Verbrecher sich des Verbrechens
enthalte und ein nützliches und fleißiges Leben führe“ (s. 5 Prev. of Cr. Act 1908).
* Uber das erste, auf Progressivsystem ausgebaute Jugendgefängnis Deutschlands
und des europäischen Festlandes überhaupt s. oben S. 94. "