Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

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Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 107 
sie nachträglich aus ihm ausgeschieden und den gewöhnlichen Gefängnissen überwiesen 
werden. 
Es tritt hier also, dem Gesetze der Differenzierung entsprechend, zu den bestehenden Arten 
von Strafanstalten eine neue Art, das Jugendgefängnis, hinzu. 
Der Vollzug in ihm erfolgt im Progressiv= oder Stufensystem. Je höher die Klasse, in 
die der Gefangene aufrückt, um so größer seine Freiheiten und damit die Annäherung an die 
Freiheit selbst. 
Systematisch richtet sich die Ausbildung auf alle Seiten der Persönlichkeit, also auf den 
erfahrungsgemäß zumeist unentwickelten und unterernährten Körper, auf den Verstand und 
den Charakter. Dafür ist an der Spitze der Anstalt ein pädagogisch veranlagter Direktor er- 
forderlich, der, ohne an Autorität einzubüßen, zwischen sich und den Gefangenen ein auf Ver- 
trauen begründetes freundliches Verhältnis herzustellen fähig ist. Auch seine Beamten müssen 
in diesem Sinne Erzieher, nicht bloße Aufseher oder Schließer sein. Ehemalige Soldaten können 
geeignete Elemente sein, sie brauchen es aber nicht zu sein. Ja, ihr früherer Beruf legt ihnen 
erfahrungsgemäß oft eine allzu disziplinäre Auffassung des Strafvollzuges geradezu nahe. 
Strenge Auswahl unter ihnen ist darum geboten. Ausreichend hohe Gehälter sind die Vor- 
aussetzung für die Gewinnung geeigneten Direktoren= und Beamtenmaterials. Dann kann 
auf die Lückenbüßer erzieherischer Veranlagung, als da sind Prügelstrafe und sonstige 
ungeeignete Disziplinarmaßregeln, verzichtet werden, wie es das Reichsjustizamt schon in den 
neunziger Jahren empfohlen hat (s. oben S. 96)1. 
Das letzte Stadium des Strafvollzuges muß regelmäßig — und dies gilt zwar in 
erster Linie, aber nicht ausschließlich für Jugendliche —h#H#edingte Entlassung bilden. 
Sie ist eines der wichtigsten Elemente des auf Besserung gerichteten Strafvollzuges. Nach 
geltendem Recht ist sie erst nach einem Jahr, also nur in den schwersten Fällen, gleichsam als 
eine Prämie für diese, möglich und tritt verhältnismäßig selten, nämlich nur bei etwa 30 
aller Jugendlichen ein. Sie bedarf der Vorbereitung durch Vermittlung einer geeigneten 
Stellung. Daß hier eine aus dem Rechtsverhältnisse der Gefangenschaft 
folgende Aufgabe des Staates liegt, haben wir oben (S. 82) gesehen. Sie muß 
aber auch in ihrem Erfolge durch Schutzaufsicht gesichert sein. Der Jugendliche muß also 
in der Zeit der vorläufigen Entlassung einem Pfleger und Fürsorger, unter der Kontrolle eines 
Jugendfürsorgevereins und des Richters, am besten des Jugendrichters, unterstellt 
sein. Diese Fürsorger können ehrenamtlich sein, in jedem Bezirk aber muß an ihrer Spitze ein 
bezahlter Fürsorgebeamter stehen. 
Dringend notwendig scheint, daß dem Strafvollzuge die für die Umwandlung von Ver- 
brechern in Bürger erforderliche Strafzeit gesetzlich gewährleistet wird. Es ist hierfür 
beachtenswert, daß 1910 unter den zu Gefängnis verurteilten etwa 26 000 Jugendlichen nur 
2 (522) ein Jahr oder mehr erhalten haben. Vom Richter wird man darnach die für die 
Umwandlung nötige Strafzeit nicht erwarten dürfen. Uberdies aber ist es in der Hauptverhand- 
lung nur selten möglich, das Maß dieser Zeit bei dem einzelnen Gefangenen bereits im voraus 
zu bestimmen. So ist — mit einer Beschränkung durch ein Höchstmaß — Verurteilung 
bis zur Besserung, unter überweisung an ein Jugendgefängnis, die aussichtsvollste 
Form der Bestrafung. Niemand ist an ihr mehr interessiert als die Behörden des Strafvoll= 
zuges selbst. Sie hat man bisher vielfach, mangels einer im Einzelfalle genügenden Zeit für die 
Beeinflussung, vor eine unerfüllbare Aufgabe gestellt, um sie demnächst für deren Nichterfüllung 
verantwortlich zu machen. 
Dies sogenannteunbestimmte Strafurteilläßt sich keineswegs etwa durch bestimmte 
Strafe mit vorläufiger Entlassung ersetzen. Denn dabei ist nur die Kürzung einer zu langen, 
aber nicht die Verlängerung einer zu kurzen richterlichen Strafzeit möglich. Wohl aber sind 
die Gefahren der unbestimmten Verurteilung für die bürgerliche Freiheit durch ein gesetzliches 
Höchstmaß vermeidbar. Uber dieses hinaus darf der Jugendliche in der Anstalt nicht fest- 
Bon körperl. Züchtigung als Disziplinarmittel wird im Entw. des Ver. Deutsch. 
Strafanst. 3 72 ganz allgemein abgesehen s. dazu Klein, Z. 33, 653. Über ihre Gesund- 
heitsschädlichkeit vgl. F. Leppmann, Der Gefängnisarzt S. 54 ff. 
 
	        
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