Strafprozeßrecht. 123
schrift über Kriminalverfahren (1788); Kaiser Franz' II. Gesetzbuch über Verbrechen und schwere
Polizeiübertretungen (1803); Preußische Kriminalordnung (1805); Allgemeines Strafgesetz-
buch für das Königreich Bayern (1813).
b) Gesetzgebungen mit reformiertem Strafverfahren: Bayrisches Gesetz, betr. Abände-
rungen des StG#B. (1848); Preußische Verordnung über die Einführung des mündlichen
und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen (1849), nebst Zusatz-
gesetz (1852); Braunschweigische Strafprozeßordnung (#e)a Thüringische St PO. (1850);
Waldecksches Gesetz, die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens betreffend
(1850); Sachsen-Altenburgische St PO. (1854); Sächsische St PO. (1) z Oldenburgische St PO.
(1857); Lübische St PO. (1862); Badische St PO. (1864); Hessische StPHO. (1865); Preußische
St PO. für die neuen Landesteile (1867); Württembergische StPO. (1868); Hamburgische
St PO. (1869); Bremische St P. (1870) 1.
VI. Es bestand kein Zweifel darüber, daß auch die Reichsgesetzgebung im wesentlichen
bei dem reformierten Strafprozeß verharren müsse. Waren auch keineswegs alle Neuerungen,
die er gebracht, zugleich auch Segnungen, war namentlich die Heranziehung des Laienelements
ein schwerer Mißgriff, so stand doch fest, daß, alles in allem genommen, der neue Prozeß einen
Fortschritt über die gemeinrechtliche Zeit darstellte. So standen auch die Entwürfe des Bundes-
rats aus den Jahren 1873 und 1874 durchaus auf dem Boden des reformierten Prozesses und
nicht minder die Beratungen des Reichstages über diese Entwürfe. Zweifel und Meinungs-
verschiedenheiten tauchten freilich trotz dieser grundsätzlichen Ubereinstimmung in großer Zahl
auf, besonders über die Frage, ob die schwersten Verbrechensfälle von Schwurgerichten oder
aber von sog. großen Schöffengerichten abgeurteilt werden sollten. Zusammen mit den übrigen
„Reichsjustizgesetzen“ kam schließlich die Strafprozeßordnung für das Deutsche
Reich zustande. Sie trägt das Publikationsdatum des 1. Februar 1877; in Kraft getreten
ist sie am 1. Oktober 1879. Die Materialien zur St PO. sind enthalten in der Hahnschen Publi-
kation „Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen“, Berlin 1877 ff.
Gegenüber der lex lata haben sich seither aber, und zwar schon seit den ersten Jahren
nach Einführung des Gesetzes, Wünsche nach weiterer, umfassender Reform erhoben, ganz
besonders nach Einführung der Berufung im Strafprozeß. Zu einem Resultat hat diese
Reformbewegung, wiewohl die verbündeten Regierungen ihr schon mehrfach durch Vorlegung
von Entwürfen entgegengekommen sind, bisher nicht geführt; lediglich die Entschädigung un-
schuldig Bestrafter und unschuldig Verhafteter ist erzielt worden (RGesetze vom 20. Mai 1898
und 14. Juli 1904) und neuerdings die Beseitigung der Praxis, die hinsichtlich der Preßdelikte
zu einem „fliegenden“ oder „ambulanten“ Gerichtsstand gelangt war (RGes. vom 7. Juni 1902;
s. unten § 15 1).
Eine umfassende Reform wurde dadurch eingeleitet, daß 1903 das Reichsjustizamt eine
Kommission einsetzte mit dem Auftrag, zu einer Reihe von Fragen, die in einem Fragebogen
formuliert waren, Stellung zu nehmen; die Frucht der Beratung waren die „Protokolle der
Kommission für die Reform des Strafprozesses“ (2 Bände 1905). 1908 folgte der Entwurf einer
St PO., ausgearbeitet vom Reichsjustizamt (ins Italienische übersetzt von Leto 1910); seinen
Inhalt übernahm mit geringen #iderungen der Bundesratsentwurf vom März 1909. Zur
Verabschiedung eines neuen Gesetzes kam es jedoch nicht, da die Reichstagsberatungen wegen
anderer parlamentarischer Aufgaben nicht zu Ende geführt wurden. Die Reform ist nunmehr
bis zur Neugestaltung des materiellen Strafrechts hinausgeschoben. (Fortlaufende Berichte
zur Strafprozeßreform in der Ztschr. f. Strafr.-Wissensch.)
Bgl. Häberlin, Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßordnungen (1852—1853);
Sundelin, Sammlung der neueren deutschen Gesetze über Gerichtsverfassung und Straf-
verfahren (1861).