Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

142 Ernst Beling. 
der nicht in die Hauptverhandlung hineinfallenden Entscheidungen durch die Strafkammer ver- 
treten, § 82 GVG.). 
2. Unter den erkennenden Gerichten ist ein funktioneller Unterschied insofern vorhanden, 
als den Gerichten erster Instanz die zur Entscheidung über ein Rechtsmittel in höherer Instanz 
berufenen erkennenden Gerichte gegenübertreten. 
II. Unter sachlicher Zuständigkeit im engeren Sinne versteht man die 
Fähigkeit der Gerichte zur Erledigung des Hauptverfahrens in bestimmten Arten von Straf- 
sachen, also die Fähigkeit, als erkennende Gerichte zu fungieren. Solche Zuständigkeit 
haben und zwar in erster Instanz: 
1. die Amtsgerichte nur in Uübertretungssachen, falls der Beschuldigte vorgeführt 
wird und geständig ist, und die Staatsanwaltschaft mit schöffenloser Verhandlung einverstanden 
ist (§ 211 Abs. 2 St PO.), sowie — insoweit die Landesgesetzgebung von § 3 Abs. 3 ESt PO. 
Gebrauch gemacht hat — in Feld- und Forstrügesachen. 
2. Die Schöffengerichte sind für gewisse Arten von Strafsachen, nämlich Üüber- 
tretungen und gewisse Vergehen, von vornherein ohne weiteres zuständig (S 27 GWWG.), — 
sog. ursprüngliche Zuständigkeit; außerdem können sie in einer Anzahl von Vergehenssachen, 
die von Hause aus zur Strafkammerzuständigkeit gehören, dadurch zuständig werden, daß ihnen 
die beschließende Strafkammer bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Verhandlung und Ent- 
scheidung der Sache überweist (SI 75 G.), — sog. abgeleitete Zuständigkeit; Voraussetzung 
der UÜberweisung ist, daß nach den Umständen des Falles keine andere und höhere Strafe als 
sechs Monate Gefängnis oder 1500 Mk. Geldstrafe, allein oder neben Haft oder in Verbindung 
miteinander oder in Verbindung mit Einziehung, sowie keine höhere Buße als 1500 Mk. zu 
erwarten steht (so seit dem RGes. v. 5. Juni 1905, der sog. Lex Hagemann; vorher UÜberweis- 
barkeit nur bis 3 Monat Gefängnis und 600 Mark). 
3. Die Strafkammerrn sind zuständig für alle Vergehen abzüglich der unter 2. er- 
wähnten, sowie für eine Anzahl von Verbrechen, so besonders Verbrechen Jugendlicher, sowie 
Verbrechen, bei denen die Strafdrohung auf fünf Jahre Zuchthaus in maximo lautet (5# 73, 
74 GV.). 
4. Den Schwurgerichten wohnt Zuständigkeit für alle Verbrechen inne, mit Aus- 
nahme derer, die das Gesetz speziell den Strafkammern oder dem Reichsgericht zuweist (§ 80 
GVG.). « 
5. Dem Reichsgericht fallen in erster Instanz das Verbrechen des Hoch- und das 
des Landesverrats zu, und zwar nur, sofern sie sich gegen Kaiser und Reich richten (§ 136 1 G.); 
daneben sind die schwersten Arten des Verrats militärischer Geheimnisse dem Reichsgericht zu- 
gewiesen (§ 12 RGes. v. 3. Juli 1893). 
Die Verteilung der Strafsachen auf fünf Gerichtsarten erklärt sich historisch. Die 
Grundlage bildet die französischrechtliche Dreiteilung der strafgerichtlichen Zuständigkeit, die 
sich an die Dreiteilung (Trichotomie, StGB. F 1) der strafbaren Handlungen anschließt. Da- 
nach würden die Schöffengerichte als Ubertretungsgerichte erscheinen (entsprechend den Friedens- 
gerichten, Polizeigerichten, tribunaux de simple police); die Strafkammern als Vergehens- 
gerichte (entsprechend den Zuchtpolizeigerichten, tribunaux en matieère correctionnelle); die 
Schwurgerichte als Verbrechensgerichte (wie die französischen cours d’assises). Zum Zwecke der 
Entlastung der Gerichte höherer Ordnung verschob man jedoch die Kompetenzgrenzen so, daß 
den Schöffengerichten auch Vergehens-, den Strafkammern auch Verbrechenssachen zuwuchsen. 
Weiter trug man dem Umstande Rechnung, daß die Schöffengerichte nur zu bestimmten Tagen 
zusammentreten, und zweigte behufs schnellerer Aburteilung eine Gruppe von einfach liegen- 
den, spruchreifen und schleunige Aburteilung heischenden Übertretungssachen von den Schöffen- 
sachen ab, indem man sie dem Amtsrichter ohne Beisitz von Schöffen zuwies (bemerkenswerter- 
weise ohne dieser gerichtsverfassungsrechtlichen Anderung im Gerichtsverfassungs- 
gesetz Ausdruck zu geben). Endlich sah man sich veranlaßt, dem gemeinschaftlichen Ober- 
appellationsgericht der drei Freien und Hansestädte in Lübeck, das laut Art. 75 NVerf. erste 
und letzte Instanz für Hoch- und Landesverrat gegen Kaiser und Reich war, in dem Reichsgericht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.