Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

152 Ernst Beling. 
wird diese Unabhängigkeit von den Parteianträgen als eine prinzipielle aufgefaßt: „Immu- 
tabilitätsprinzip“); so kann namentlich Verurteilung trotz staatsanwaltschaftlichen Freisprechungs- 
begehrens, Freisprechung trotz Schuldbekenntnisses des Angeklagten erfolgen. 
523. C. Das Instruktionsprinzip. 
Im Strafprozeß instruiert sich das Gericht in völliger Freiheit, namentlich in Freiheit von den 
Parteien, über den Prozeßstoff; es gilt das Instruktionsprinzip, nicht die Verhandlungs- 
maxime. Denn was der Strafprozeß erstrebt, ist die sog. materielle Wahrheit: die Wahrheits- 
erforschungstätigkeit des Gerichts ist weder auf den von den Parteien in den Prozeß eingeführten 
Tatsachen= und Beweisstoff beschränkt, noch ist das Gericht genötigt, die von den Parteien zuge- 
standenen Tatsachen für wahr zu halten (Gegensatz zum Zivilprozeß). So ist das Gericht namenlich 
dazu berufen, alle etwaigen zugunsten des Beschuldigten sprechenden Gesichtspunkte von Amts 
wegen aufzusuchen (sog. materielle Verteidigung des Beschuldigten, im Gegensatz zu der „for- 
mellen“, d. i. der Verteidigung durch einen dem Beschuldigten zur Seite stehenden Verteidiger, 
unten § 30). Tieses Prinzip entfließt von selbst dem Charakter jeder Strafsache als einer causa 
publica. Es muß den Dingen auf den Grund gegangen werden unbekümmert um die — viel- 
fach eigensüchtigen und wahrheitsfeindlichen — Wünsche der Beteiligten. Ein auf unzuver- 
lässigen Unterlagen aufgebautes Urteil befriedigt das öffentliche Interesse nicht. 
Rücksichten mancherlei Art treten freilich einer strikten Durchführung des Prinzips ent- 
gegen; es gibt — auch im heutigen Recht — absolute und relative Beweisverbote, Zeugnis- 
weigerungsrechte, Eidesverbote usw. 
§ 24. D. Mündlichkeits-- und Konzentrationsprinzip. 
Literatur: Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren, 1 S. 210 ff.; Bauer, Ab- 
hondunge en. III S. 80 ff.; Glaser, Kl. Schriften I S. 701 ff.; Mittermaier, Münd- 
keit #nklageprinziv usw. (1845). — Bgl. auch Wach, Vorträge über die Reichszivilprozeß- 
ordnung (2. Aufl. 1896) S. 1 ff. 
I. Das Prinzip der Mündlichkeit (im Gegensatz zu dem im gemeinrechtlichen In- 
quisitionsprozeß ausgeprägten Prinzip der Schriftlichkeit mit der Devise: Quod non in actis. 
non est in mundo) verlangt, daß sich alle im Prozeß Auftretenden des gesprochenen Wortes 
bedienen. Dieses Prinzip beherrscht heute die Hauptverhandlung (§9§ 225, 242, 257 
St PO.); im übrigen gilt in weitem Umfange Schriftlichkeit, z. B. für die Erhebung der An- 
klage, die Eröffnung des Hauptverfahrens, Einlegung von Rechtsmitteln. 
Keine Ausnahme vom Mündlichkeitsprinzip ist die Protokollieuung der Vorgänge der 
Hauptverhandlung; diese dient nur dazu, den Beweis des gesprochenen Wortes für die Zukunft 
festzuhalten. 
II. Der heutige Strafprozeß steht unter der Herrschaft des Konzentrations- 
prinzips, insofern das Urteil auf Grund einer Hauptverhandlung, in welche alle maß- 
gebenden Prozeßhandlungen zusammengedrängt sind, ergeht (vgl. §§ 228, 267 Satz 1 St PO.). 
(Gegensatz zum Zivilprozeß, wo die „mündliche Verhandlung“ in einer ganzen Reihe von aus- 
einander liegenden Terminen vor sich gehen kann.) Die Hauptverhandlung ist daher nicht 
zerlegbar. Es können zwar kürzere „Unterbrechungen“ (höchstens von drei Tagen, 8 228 St PO.), 
§227 Satz 2, unbeschadet der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung angeordnet werden, dagegen 
ist eine „Aussetzung“ der Hauptverhandlung (§ 227 Satz 1) gleichbedeutend mit Annullierung 
der bisher vorgenommenen Teile der Hauptverhandlung; eine abgebrochene Hauptverhandlung 
ist nicht sortsetzbar; in dem neuen Termin muß völlig von neuem begonnen werden (7 228 a. E.). 
Dies deswegen, weil längere Pausen in der Hauptverhandlung leicht dahin führen, daß inzwischen 
Verhandeltes dem Gedächtnis entschwindet. Auf denselben Grundgedanken geht die Bestimmung 
zurück, daß die Urteilsverkündung regulär sofort am Schluß der Hauptverhandlung, äußersten- 
falls aber eine Woche nachher stattfinden muß (5 267 St PO.). 
In gewissem Sinne durchbrochen wird der Grundsatz der Konzentration durch die sog. 
kommissarische oder stellvertretende Beweisaufnahme (§§ 222—224,
	        
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