Strafprozeßrecht. 157
So hängt die Zulässigkeit des Ermessensbeschlusses, ob ein Zeuge zu vereidigen oder nicht zu
vereidigen sei (§ 57 St PO.) davon ab, daß der Zeuge ein Angehöriger des Beschuldigten im
Sinne des § 51 St PO. ist; der Eröffnungsbeschluß setzt vorherige Anklage oder (§ 206 St PO.)
staatsanwaltschaftlichen Antrag auf Außerverfolgungsetzung voraus; die Hauptverhandlung ist
nur statthaft auf Grund eines Eröffnungsbeschlusses (oder eines im Gesetz anerkannten Surrogats
dafür, vgl. z. B. St PO. 8§ 270, 451).
Unter den Prozeßgestaltungsvoraussetzungen sind besonders bedeutsam die Bedingungen,
unter denen zu einem Urteil geschritten werden darf, die Urteilsvoraussetzungen.
Sie zerfallen in
1. Sach urteilsvoraussetzungen (ohne die ein Urteil in der Sache selbst nicht gesprochen
werden darf), das sind
a) alle Strafklagerechtsvoraussetzungen;
b) alle Prozeßvoraussetzungen;
Z%) spezifische Urteilsvoraussetzungen, vor allem das Vorangegangensein einer Haupt-
verhandlung.
2. Formalurteilsvoraussetzungen = die spezifischen Urteilsvoraussetzungen (1 c) allein.
Zu den Urteilsvoraussetzungen treten noch die Urteilsqualitätsvoraus-
setzungen hinzu, von denen nur abhängt, ob das zu fällende Urteil so oder so lauten darf 1.
VI. Die Rechtswirkungen der einzelnen Prozeßhandlungen sind je nach deren
Art sehr mannigfaltig. Die Klage bewirkt Rechtshängigkeit, der Eröffnungsbeschluß bewirkt
Obschweben des Hauptverfahrens, das Urteil bewirkt Instanzerledigung, bei formeller Rechts-
kraft Prozeßerledigung und, falls Sachurteil, Konsumtion des Klagerechts; die Rechtsmittel-
einlegung bewirkt Übergang der Sache in die Rechtsmittelinstanz usw.
Bei den Prozeßhandlungen mit rechtsgeschäftlichem Charakter ist die Feststellung, in
welchem Umfange sich Rechtswirkungen einstellen,
1. zunächst abhängig von dem Inhalt der Erklärung. Dieser ist nicht mit deren Wort-
laut identisch, vielmehr durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist namentlich auch der etwaige
„latente Geschäftsinhalt" von Bedeutung. So ist in jedem verurteilenden Erkenntnis der
Ausspruch verborgen, daß die Tat unter andere als die ausdrücklich genannten rechtlichen Ge-
sichtspunkte nicht zu subsumieren sei, die Verurteilung wegen tätlicher Beleidigung z. B. besagt,
daß die Tat keine Körperverletzung darstelle usp. Auch der unausgesprochene Inhalt hat teil
an den Rechtswirkungen, so erwächst namentlich der unausgesprochene Inhalt eines Urteils
in Rechtskraft.
Auf der anderen Seite legt das Gesetz den Prozeßhandlungen vielfach auch über den
Erklärungsinhalt hinausgehende Rechtswirkungen bei.
2. Aber nicht jede Prozeßhandlung zieht die mit ihr von dem Handelnden angestrebten
oder sich auf den ersten Anschein mit ihr verknüpfenden Rechtsfolgen auch wirklich nach sich.
a) Zunächst erhellt, daß die spezifischen Rechtswirkungen einer bestimmten Prozeßhandlungs-
art nur dann eintreten können, wenn die in Rede stehende Prozeßhandlung die essentiellen
Merkmale eben dieser Art an sich trägt. An eine Handlung, die überhaupt keine Klage ist, können
sich nicht die spezifischen Klagewirkungen, an eine Handlung, die kein Urteil (sondern z. B.
ein Scheinurteil) ist, keine Urteilswirkungen anheften usw.
b) Ebenso unwirksam sind Prozeßhandlungen, die nicht zu den gesetzlich anerkannten Arten
gehören (z. B. Beschluß auf Vereidigung des Angeklagten) oder in einer gesetzlich nicht aner-
kannten Erscheinungsform vorgenommen werden (z. B. bedingtes Urteil, Rechtsmitteleinlegung
in nichtdeutscher Sprache).
Tc) Der Rechtswirkung bar sind Prozeßhandlungen, zu deren Vornahme dem Handelnden
die juristische Fähigkeit fehlt (z. B. Rechtsmitteleinlegung durch einen nicht legitimierten nego-
tiorum gestor, Klageerhebung durch die Polizei, Urteilserlaß durch ein Nichtstrafgericht).
1 Näheres über Urteilsvoraussetzungen und Urteilsqualitätsvoraussetzungen s. Beling,
Revision wegen „Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren“, besonders S. 22 ff., S. 31 ff.