158 Ernst Beling.
d) Es muß aber weiter behauptet werden, daß unter Umständen eine Prozeßhandlung,
der keiner der Fehler zu a—-e anhaftet, wegen Unzulässigkeit auch rechtlich unbeachtlich ist. Im
allgemeinen bedeutet zwar das Fehlen der Voraussetzungen, unter denen die Handlung vor-
genommen werden durfte, — der Prozeßvoraussetzungen, Strafklagerechtsvoraussetzungen und
Prozeßgestaltungsvoraussetzungen, — keineswegs Ungültigkeit der Handlung. Vielmehr ent-
falten auch solche unzulässigen Handlungen ihre Rechtswirkungen; der Prozeßverstoß bietet
nur möglicherweise eine Handhabe zur Anbringung eines Rechtsbehelfs oder zu einer von Amts
wegen erfolgenden Korrektur des Verfahrens. Aber es gibt auch Unzulässigkeiten, die die unzu-
lässige Handlung rechtsunwirksam machen.
a) Dies gilt zunächst allgemein für alle nicht behördlichen Rechtsgeschäfte. Denn bei ihnen
bedeutet die Aufstellung von Zulässigkeitsbedingungen gerade den Schutz des öffentlichen Inter-
esses unter Zurückführung des privaten Interesses in bestimmte Grenzen. So wäre ein Antrag
auf ein Klageprüfungsverfahren (Ss 170ff. St PO.) ohne vorangegangene staatsanwaltschaftliche
Entscheidung, eine Rechtsmitteleinlegung ohne vorheriges Urteil einfach ad acta zu legen.
Möglich ist nur, daß eine formelle Unwirksamkeitserklärung (z. B. Verwerfung eines nicht recht-
zeitig eingebrachten Rechtsmittels) erforderlich ist.
Bei behördlichem Handeln ist im allgemeinen das Interesse an der Wahrung der
Autorität des Staats so groß, daß auch Prozeßhandlungen, die die Behörde wegen mangelnder
Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vornehmen durfte, wenn sie einmal geschehen sind und
keine Korrektur möglich oder erfolgt ist, ertragen werden müssen, weil das Ertragen des ein-
maligen Abweichens von der rechten Linie als das kleinere Ubel erscheint (so z. B. Urteile eines
örtlich unzuständigen Gerichts). Aber es gibt auch hier Unzulässigkeiten, die in den Kauf zu
nehmen gerade für eine vom überschauenden Rechtsstandpunkt aus erfolgende Interessen-
wägung die Wahl des größeren an Stelle des kleineren Ubels bedeuten würde; in diesen Fällen
muß es sich auch der behördliche Akt gefallen lassen, als ipso jure wirkungslos angesprochen zu
werden, da das Gesetz keine nachweisliche abschließende Interessenwägung in dieser Hinsicht
vorgenommen hat (vgl. oben 89 II 1). Fälle dieser Art sind z. B. das Urteil, das ganz ohne Haupt-
verhandlung oder auf Grund einer ohne Zuziehung des Angeklagten erfolgten Hauptverhand-
lung gesprochen wird, die Urteilsverkündung entgegen dem von dem Urteilerkollegium be-
schlossenen Urteilsinhalt usw.
Nach Maßgabe vona—d muß entgegen der herrschenden Lehre eineabsolute Nichtig-
keit von Prozeßhandlungen als möglich anerkannt werden. (Ansätze zur Anerkennung des Be-
griffs der Nichtigkeit enthält übrigens die reichsgerichtliche Judikatur bereits vieler Orten, vl.
Entsch. d. RGer. in Straff. Bd. XXIII S. 311, 417; Bd. XXXI S. 104, Bd. XXX III. S. 75,
sowie Deutsche Jur.-Ztg. Bd. VI S. 214). Am stärksten erscheint die Unwirksamkeit da, wo#
nicht einmal die Artmerkmale der betr. Prozeßhandlung gegeben sind (oben a). In diesem
Falle verstärkt sich die Nichtigkeit zu einem glatten „Nicht“ (Nichtklage, Nichturteil usw.).
Die Bedeutung der Nichtigkeit ist die, daß der nichtige Prozeßvorgang einfach ignoriert
wird, die Sache befinde sich, in welchem Stadium sie wolle. Ist ein Eröffnungsbeschluß
nichtig, so kann es zu keiner Hauptverhandlung kommen, solange nicht an seiner Stelle ein neuer
gültiger Eröffnungsbeschluß erlassen istz ist ein Urteil nichtig, so ist ein anderweites Urteil an seine
Stelle zu setzen; ist die Geschworenenbank nichtig gebildet, so ist ab ovo erneut zur Bildung der
Bank zu schreiten usw. Es bedarf gar keiner Formalitäten, insbesondere keiner Rechtsmittel-
einlegung, zur Konstatierung der Nichtigkeit. Daß andererseits auch zur Geltendmachung der
Nichtigkeit von Urteilen ein Rechtsmittel eingelegt werden kann, darf nicht, wie dies geschehen
ist, in Abrede gestellt werden; vorausgesetzt nur, daß der qua Urteil nichtige Akt überhaupt die
Artmerkmale eines Urteils aufweist (kein „Nichturteil") ist.
3. Wo ein Widerruf einer Prozeßhandlung statthaft ist, fällt mit ihm auch die Wirksamkeit
der Prozeßhandlung in sich zusammen. In der Regel unterliegen allerdings Prozeßhandlungen
dem Widerruf nicht. Eine Ausnahme muß u. a. für die Prozeßhandlungen, die Ausfluß eines
Parteirechts sind, gelten.
VII. Die Prozeßhandlungen interessieren nicht nur nach der Richtung hin, ob das Hand-
lungssubjekt zu ihrer Vornahme befähigt und befugt ist und welche Rechtswirkungen sie hervor-