166 Ernst Beling.
Grund eines weiteren staatsanwaltschaftlichen Zweitantrages (der aber positiv oder
negativ sein kann, unten § 60 III) das Hauptverfahren eröffnen. Dieser weitere Antrag
erscheint gewissermaßen als die Klagevollendung, die im Zusammenhalt mit
dem Vorantrage den Effekt einer Vollklage hat.
Die Rechtshängigkeit ergreift die Strafsache in ihrem ganzen Umfang, mit allen ihren
Partikeln in tatsächlicher und juristischer Hinsicht. Es macht sich hier die Einheit des Prozeßgegen-
standes (oben § 7 II) geltend; demnach kommt es auch nicht darauf an, ob die Klage alle Tat-
sachen und alle juristischen Gesichtspunkte, die in Betracht kommen, namhaft gemacht hat.
2. Die Klageerhebung begründet eine perpetuatio kori (arg. § 8 St PO.).
3. Jedes Gericht kann ablehnen,, in einer schon rechtshängigen Sache anders als unter-
stltzend tätig zu werden.
Ein Klageänderungsverbot wird dagegen durch die Rechtshängigkeit im
Strafprozeß nicht begründet; die anhängig gemachte Sache kann unter ganz anderen Gesichts-
punkten abgeurteilt werden (vgl. I 153, 264 St PO.); nur kann natürlich nicht an Stelle der
rechtshängigen Strafsache eine andere abgewandelt werden, weil letztere ja eben gar nicht
bei Gericht anhängig ist.
IV. Die öffentliche Klage ist zurücknehmbar nur bis zur Eröffnung der gerichtlichen Unter-
suchung (§ 154 St PO.); mit diesem Zeitpunkt hört also die Staatsanwaltschaft auf, dominus
litis zu sein; die Privatklage kann bis zur Verkündigung des Urteils erster Instanz und, soweit
zulässige Berufung eingelegt ist, bis zur Verkündigung des Urteils zweiter Instanz zurück-
genommen werden (§ 431).
§ 37.
3. Rechtsmittel.
Literatur: Walther, Die Rechtsmittel im Strafverfahren (1853, 1855); v. Kries,
Die Rechtsmittel des ivllprojesses und des Strafprozesses nach den Bestimmungen der deutschen
Reichsgesetze (1880); Buhmann, Die Einlegung von Rechtsmitteln seitens der Staatsanwalt=
schaft zugunsten des Beschuldigten (1890); Groß, Darstellung des Rechtsmittelsystems des
denichen Strafprozesses (1887); H. lisr gie refkormatio in pejus (1861); Brach-
vogel, Ztschr. f. StrR Wiss. Bo. XIII S. 206; ode,. Das Verbot der reformatio in peius
(1890): K einfeller, Gerichtssaal Bd. Ktür S. 608; Schultzenstein, Reformatio
in peius, Zeitschrift f. Zivilprozeß Bd. XXI S. 1; Lohsin 8 „ Das Verbot der rekormatio in
peius im Strafverfahren (1907); A. Friedländer, Der Rechtsmittelverzicht, Gerichtssaal
Bd. LVIII S. 401; Lamm, Rechtsmittel der Beschwerde (1883); Ferdinand, Das Rechts-
mittel der Beschwerde im Strasprozeß (1908).
I. Den von einer gerichtlichen Entscheidung Betroffenen gibt das Prozeßrecht regelmäßig
gewisse Rechtsbehelfe, durch die sie die Entscheidung als unrichtig anfechten können. Jeder
dieser Rechtsbehelfe ist verschieden geartet. Drei unter ihnen, nämlich Beschwerde (mit
ihren Unterarten: der einfachen und der sofortigen Beschwerde), Berufung und Revi-
sion, faßt die St PO. unter der Bezeichnung „Rechtsmittel“ zusammen. Mittelst
der Beschwerde können nur Beschlüsse und Verfügungen, mittelst der Berufung und der Revision
nur Urteile angefochten werden. Die Rechtsmittel, mit Ausnahme der einfachen Beschwerde,
sind an eine Frist gebunden [1 Woche!, (§§ 353, 355, 381 St PO.). Die Frist läuft von der Ver-
kündung der angefochtenen Entscheidung; für solche Personen, denen gegenüber eine Verkündung
nicht stattgefunden hat, von der Zustellung. Sämtliche Rechtsmittel haben — und das ist das
Hauptcharakteristihuim — Devolutiveffekt, d. h. sie führen die Entscheidung einer
höheren Instanz herbei. Ferner haben sie, aber mit Ausnahme der einfachen Beschwerde,
Suspensiveffekt — Hemmung der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung. Wer
ein Rechtsmittel einlegt, wird von der St PO. technisch „Beschwerdeführer“ genannt (vgl. z. B.
§ 357 Abs. 2 St PO.). Rechtsmittelberechtigt sind die Parteien, im Namen des Beschuldigten
auch der Verteidiger, und die Staatsanwaltschaft auch „zugunsten des Beschuldigten“; ferner
der gesetzliche Vertreter und, wenn eine Ehefrau beschuldigt ist, der Ehemann (Ss 338—340,
430, 479 St PO.).
Die Rechtsmittel ergreifen nur diejenige Strafsache, in der sie eingelegt sind (Ausnahme:
§l397 St PO.), und auch diese nur insoweit, wie der Anfechtungswille reicht: nicht angefochtene