Strafprozeßrecht. 193
Eine gutgemeinte, aber nicht unbedenkliche Bestimmung des Gesetzes verwehrt allen
Beteiligten jede Erörterung über die erfolgte Rechtsbelehrung (s 300 Abs. 2 St PO.).
V. Sodann fällen die Geschworenen ihren Spruch (Wahrspruch, Verdikt), indem sie die
an sie gestellten Fragen beantworten und den Spruch durch den Mund des Obmanns „kund-
geben". Bei der Abstimmung entscheidet die im § 262 St PO. geforderte Zweidrittelmajorität
in Ansehung der Schuldfrage, in Ansehung der Frage nach mildernden Umständen einfache
Majorität; dem Muster des englisch-amerikanischen Rechts, welches Einstimmigkeit des Verdikts
verlangt, ist das deutsche Recht nicht gefolgt. Bei der Verneinung mildernder Umstände ist
daher anzugeben, daß diese Entscheidung mit mehr als sechs Stimmen, bei jeder anderen dem
Angeklagten nachteiligen Entscheidung, daß sie mit mehr als sieben Stimmen gefaßt ist ((§§ 301
bis 308 St PO.).
Erscheint dem Gerichtshof der kundgegebene Spruch formell inkorrekt oder sachlich (d. h.
in Ansehung seiner Vollständigkeit, seiner Deutlichkeit oder seiner inneren Harmonie) mangel-
haft, so ordnet er ein Berichtigungsverfahren an, d. h. die Geschworenen haben dem Mangel
abzuhelfen; sie sind dabei, wenn der Mangel ein sachlicher war, an keinen Teil ihres früheren
Spruches gebunden (ss5 309—312 St PO.).
VI. Ist ein mängelloser Spruch erzielt, so wird er dem Angeklagten — der in dem Zeit-
punkt, in dem sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen, aus dem Sitzungszimmer
entfernt, jetzt aber wieder vorgelassen wird — „verkündet“. Lautet er auf „Nicht schuldig“,
so spricht der Gerichtshof den Angeklagten sofort ohne weiteres frei. Lautet er auf „Schuldig“,
so erhalten nach der Verkündung des Spruches zunächst die Parteien das Wort, und erfolgt
dann erst das Urteil des Gerichtshofes (§5 314 ff.). Regelmäßig kann sich der Gerichtshof dem
Geschworenenspruch nicht entziehen, sondern hat auf ihm aufzubauen. Eine Ausnahme gilt
für den Fall, daß das Gericht einstimmig dafür hält, daß sich die Geschworenen in der Haupt-
sache zum Nachteil des Angeklagten geirrt haben; alsdann erfolgt Verweisung der Sache vor
das Schwurgericht der nächsten Periode zwecks erneuter Verhandlung (§ 317; sog. Kassation
des Geschworenenspruchs).
VII. Die abzufassende Urteilsurkunde enthält wie das im nicht-schwurgerichtlichen Ver-
fahren ergangene Urteil Kopf, Tenor, Gründe und Unterschrift. Die Gründe können natürlich
nur die des Gerichtshofs sein, d. h. sich nur auf die Straffrage (und zwar mit Ausschluß
der Frage nach mildernden Umständen) beziehen, sie erhalten aber einige Vollständigkeit durch
die Bezugnahme auf den Geschworenenspruch, der also gewissermaßen dem Urteil einverleibt
wird (§ 316 St PO.). Auch so freilich bleibt ein großes Manko: die Gründe, die zu dem Ge-
schworenenspruch geführt haben, bleiben ewig verschleiert, — auch dies ein Umstand, der zur
Beseitigung der Schwurgerichte drängt.
2. Rechtsmittelinfstanzen.
8 64.
a) Berufungsverfahren.
Literatur: v. Schwarze, Die rm“**“3 Instanz im mündlichen Strafverfahren (1862);
Derielb n Gerichtssaal Bd. XXXV XXXVII S. 1; Boitus, Kontroversen
Selu S. 395; Kronecker, Goltd. Arch. Bd s S. 119. — Bal. Jur. LitWl. VI 193.
25.
I. Die Berufung (Appellation) ist heute nur gegen Urteile der Schöffengerichte und der
Amtsgerichte gegeben (S#s 354, 211 St PO.). Die auf Einführung der Berunfung gegen Straf-
kammerurteile gerichtete Reformbewegung wird jedoch voraussichtlich mindestens dann durch-
dringen, wenn, wie wahrscheinlich, die Strafkammern im Sinne schöffengerichtlicher Organi-
sation umgestaltet werden.
II. Die Berufung ist ein unbeschränktes Rechtsmittel, Verstöße aller Art können mittels
ihrer gerügt werden; namentlich ist mittels ihrer auch die Tatfragebeantwortung anfechtbar.
III. Das Berufungsgericht — die Strafkammer — prüft in den durch die Anfechtung
bezeichneten Grenzen (§s§ 368, 359; vgl. jedoch 343 St PO.) den ganzen Sach- 1rd Streitstand
Cnzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band V.