Strafprozeßrecht. 197
e) wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe mitgewirkt hat, der
sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Amtspflichtverletzung schuldig
gemacht hat, vorausgesetzt, daß letztere nicht von dem Verurteilten selbst ver-
anlaßt ist;
d) wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf das das Strafurteil gegründet war, durch
ein anderes, rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben worden ist;
e) bei Beibringung neuer Tatsachen und Beweismittel (jedoch ist unter diesem Gesichts-
punkte ein schöffen gerichtliches Urteil nur dann angreifbar, wenn der Ver-
urteilte jene nova früher nicht gekannt hat oder ohne Verschulden nicht geltend
machen konnte).
2. Die ungünstige Wiederaufnahme findet statt:
a) wenn sich eine in der Hauptverhandlung zugunsten des Angeklagten als echt vor-
gebrachte Urkunde als gefälscht oder verfälscht herausstellt;
b) wenn durch Beeidigung eines zugunsten des Angeklagten abgelegten Zeugnisses
oder abgegebenen Gutachtens der Zeuge oder Sachpverständige sich einer vorsätzlichen
oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
c) wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe mitgewirkt hat, der
sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Amtspflichtverletzung schuldig
gemacht hat;
d) wenn der Freigesprochene gerichtlich oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Tat-
geständnis ablegt.
Ein jeder dieser Wiederaufnahmegründe will scharf in seiner Besonderheit erfaßt sein;
behauptet z. B. der Angeklagte unter Anführung eines neuen Zeugen A, daß ein in der Haupt-
verhandlung vernommener Zeuge B unrichtig ausgesagt habe, so liegt an sich lediglich Fall 1e
vor; Fall 1b nur dann, wenn der Angeklagte dem Zeugen B Meineid oder fahrlässigen Falsch-
eid (nicht bloß objektiv unrichtige Aussage) zur Last legt. Dies ist besonders wichtig wegen
#§404 St PO., wonach einauf die Behauptungeinerstrafbaren Handlung
gegründeter Wiederaufnahmeantrag nur dann zulässig sein soll, wenn wegen dieser Hand-
lung eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist, oder wenn die Einleitung oder Durchführung
eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis unmöglich ist.
Die Anwendbarkeit dieses Paragraphen ist durchaus zu beschränken auf die Fälle 1 a-e und
2 a-ec, wie dies jetzt auch ganz überwiegend angenommen wird.
III. Die strafprozessuale Wiederaufnahme ist — im Gegensatz zur zivilprozessualen —
an keine Frist gebunden.
Sie hat keinen Devolutiveffekt und selbstverständlich keinen Suspensiveffekt; doch kann
die Strafvollstreckung ausgesetzt werden (§§# 407, 400 St PO.).
IV. Wiederaufnahmegericht ist grundsätzlich eben das Gericht, gegen dessen Urteil sich
der Wiederaufnahmeantrag richtet. Dem Zentralisationsprinzip, dem die französische Gesetz-
gebung und unsere RMStGO. vom 1. Dezember 1898 huldigen (Wiederaufnahmegericht ist
in Frankreich der Kassationshof, im Militärstrafprozeß das Reichsmilitärgericht), ist die StPO.
nicht gefolgt. Im Gegenteil begünstigt § 407 St PO. eine weitgehende Dezentralisation, indem
er in gewissen, genauer angegebenen Fällen die Revisions gerichte, auch wenn ihr Urteil
Objekt des Wiederaufnahmeangriffs ist, von der Wiederaufnahmefunktion entlastet und diese
den Vorinstanzen zuweist.
V. Das Verfahren gliedert sich in das Zulassungsverfahren, welches in einen Beschluß,
durch den der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig verworfen wird, oder in einen Zulassungs-
veschluß auslaufen kann. Letzterenfalls folgt nunmehr ein Beweisaufnahmeverfahren und
nach dessen Abschluß entweder ein Beschluß, durch den der Antrag als unbegründet verworfen
wird, oder ein Wiedereröffnungsbeschluß; an den Wiedereröffnungsbeschluß schließt sich das
emeute Hauptverfahren an (§5 407—413 St PO.). Die neue Hauptverhandlung ist ein novum
iudicium ohne Beschränkung auf den geltend gemachten Wiederaufnahmegrund; nur ist, wie
bei den Rechtsmitteln, reformatio in peius ausgeschlossen (s 413 Abs. 2).