Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Strafrecht. 19 
Drittes Kapitel. 
Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. 
8 8. Schuld fähigkeit. 
Das Verbrechen setzt als Handlung einen Handelnden voraus. Dieser muß, da die strafrecht- 
lich relevante Handlung eine willkürliche Körperbewegung enthält, die Fähigkeit besitzen, gerade 
eine solche Bewegung vorzunehmen. Dies vermag aber nur der Einzelmensch, nicht die Korporation 
oder irgendeine andere Form der juristischen Person. Die letztere kann wohl betrügerische Ver- 
träge schließen und zivilrechtlich haftbar sein, aber keinen Betrug begehen und nicht strafrechtlich 
zur Verantwortung gezogen werden. Der Grund liegt darin, daß das Strafrecht im Gegensatz 
zum Zivilrecht sich nicht mit Fiktionen begnügen kann, entsprechend der Aufgabe des Straf- 
pr#zesses, die in Ermittlung nicht bloß der formellen, sondern der materiellen Wahrheit besteht. 
Die Fähigkeit, willkürliche Körperbewegungen vorzunehmen, ist die erste, aber nicht die 
einzige Bedingung für die Schuldfähigkeit. Es muß noch weiter hinzukommen die Fähigkeit, 
die Wirkungen der Körperbewegung zu überschauen. Insofern gehört also zur Begehung eines 
Verbrechens ein gewisses Maß von Intelligenz. Da nun für die Rechtsordnung die natürliche 
Wirkung nur in ihrer rechtlichen Bedeutung in Betracht kommt, muß der Täter fernerhin 
imstande sein, die rechtliche Bedeutung der von ihm verursachten Wirkungen einzusehen. 
Eine derartige Einsicht setzt eine gewisse Erziehung voraus. Anlage und äußere Umstände 
können den Erwerb beschleunigen. Ein allgemeiner Zeitpunkt, bis zu dem er vollzogen wäre, 
läßt sich nicht angeben. Doch läßt sich negativ ein Zeitpunkt bestimmen, bis zu welchem er noch 
nicht als vollzogen erachtet werden soll. Das ist nach positivem Recht die Vollendung des 
zwölften Lebensjahres (§ 55 Abs. 1 StGB.). Erst von da ab gilt die Schuldfähigkeit als vor- 
handen. Letztere besitzt also der geistig entwickelte, der Kindheit entwachsene Mensch. 
Die Schuldfähigkeit kann nun, obwohl das Kindheitsalter überschritten ist, ausnahms- 
weise fehlen. Die Gründe sind: 
1. verzögerte oder gehemmte geistige Entwicklung. Genoß der Jugendliche keine ge- 
hörige Erziehung, so geht ihm vielleicht die Vorstellung von der rechtlichen Bedeutung seiner 
Tat ab. Darum soll das Gericht bei einem zwölf bis achtzehn Jahre alten Jugendlichen in jedem 
einzelnen Fall prüfen, ob er die zur Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Handlung erforderliche 
Einsicht besaß. Muß dies verneint werden, so ist der Täter zwar freizusprechen, kann aber, da 
ein Exziehungsfehler zutage getreten ist, einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt überwiesen 
werden (§ 56 StGB.). 
In einem Erwachsenen ist die Entwicklung nicht abgeschlossen, wenn er wegen körper- 
licher Fehler der nötigen Erziehung nicht hat teilhaftig werden können. Namentlich ist dies 
beim Taubstummen der Fall. Auch er kann deshalb nur dann verurteilt werden, wenn für die 
konkrete Tat die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht festgestellt ist (§ 58 St GB.). 
Andere Fälle gehemmter geistiger Entwicklung hat das Gesetz nicht vorgesehen. Aber man wird 
nicht umhin können, sie per analogiam ebenso zu beurteilen; 
2. mangelnde geistige Gesundheit. Gesundheit und Krankheit gehen oft unmerklich 
ieinander über. Schon darum kann die Schuldfähigkeit nicht durch jede geringfügige, sondern 
erst durch eine derartige krankhafte Störung der Geistestätigkeit aufsgehoben werden, welche die 
freie Willensbestimmung, d. h. die normale Bestimmbarkeit durch Vorstellungen, ausschließt 
(# 51 StGB.). Die Störung ist entweder eine dauernde, wie bei Wahnsinn, geistiger Ent- 
artung, oder eine vorübergehende, wie bei Delirien und manchen Vergiftungszuständen. Ob 
die krankhaften Vorstellungen durch eine Störung des Denk= oder des Willensvermögens be- 
dingt werden, ist gleichgültig. Sie müssen nur die ganze Psyche ergreifen. Bloße Ent- 
artung des Trieblebens bei völlig normalen Vorstellungen ist ein Unding. Der Begriff der 
Monomanien wird mit Recht verworfen. 
Nichtsdestoweniger aber ist die Frage der Schuldfähigkeit von Fall zu Fall zu prüfen. 
Ebensogut wie die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht für das eine Ver- 
brechen vorhanden sein und für das andere fehlen kann, ist es sehr wohl möglich, daß jemand 
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